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N° 1355
27.04. - 03.05.2024

nächste Aktualisierung
am 04.05.2024



Startseite · Oper & Konzert · Musikstadt

(c) Philemon Henry/Office de Tourisme de Strasbourg et sa Région

Musikstadt

Straßburg

Die Nationaloper am Rhein, das Philharmonische Orchester, das Herbst-Festival: Diese Trias lässt die elsässische Metropole musikalisch glänzen.

„Straßburg liegt im Sonnenschein, Martin!“ Ja sogar in die Trällerecke hat es die elsässische 300 000-Einwohner-Metropole schon mit dem Mireille-Mathieu-Schlager geschafft. Doch auch sonst ist in der Stadt in der Unterrheinebene mit dem weitsichtbaren Münsterturm (von mindestens 1647 bis 1874 war der mit seinen 142 Metern das höchste Bauwerk der Menschheit und das höchste im Mittelalter vollendete Gebäude) viel Musik drin. Etwa – bleiben wir noch bei ihrer größten Segenwürdigkeit – im Münster, wo Tag für Tag die diversen Mechanismen der 1574 vollendeten, 1842 in ihrem inneren neu konstruierten astronomischen Uhr Glockenspiele und Melodien produzieren.
Straßburg ist allerdings eher mager aufgestellt, was berühmte Figuren der Musikgeschichte angeht: Immerhin wirkte hier der Orgelbauer Andreas Silbermann (1678-1734), Bruder des berühmteren Gottfrieds, der Walzerkomponist Émile Waldteufel (1837-1915) wurde hier geboren, ebenso der Dirigent Charles Munch (1891-1968).
Nördlich des Münsters, an der Place Broglie, einem der Hauptplätze schon der alten Stadt, benannt nach einem barocken Marschall, da wo auch das Haus steht, in dem angeblich Claude Joseph Rouget de Lisle erstmals die Marseillaise sang, steht heute passenderweise das Gebäude der Nationaloper am Rhein. Die hat zwar nur eine Sparte, aber drei Häuser, da sie fusioniert wurde mit den Musiktheatern in Mulhouse und Colmar. So deckt sie im äußersten Osten ein großes Gebiet ab (Grand Est), weitere Häuser stehen erst wieder in Dijon oder im lothringischen Nancy. Traditionsgemäß hat man an der Nationaloper Straßburg auch viele deutsche Besucher, deshalb gibt es immer auch deutsche Übertitel.
Deutsch-französische Operngeschichte
Das erste Opernhaus in Straßburg wurde 1701 in einem umgebauten Getreidespeicher eröffnet. Nach einem Brand und verschiedenen Provisorien wurde 1821 ein neues Stadttheater an der Place Broglie eröffnet. Dieses Gebäude wurde bei der deutschen Bombardierung 1870 fast vollständig zerstört, aber nach der Annexion der Provinz durch das Deutsche Reich 1871 im gleichen Stil wiederaufgebaut und 1873 wiedereröffnet. Inzwischen ist es zwar innen immer noch hübsch plüschig, so intim wie elegant, aber leider auch ziemlich baufällig. Immerhin hat kürzlich der Bürgermeister von Straßburg angekündigt, dass das Haus von 2026 bis 2029 für eine komplette Renovierung geschlossen bleiben wird.
Während der deutschen Zeit bis 1919 waren mehrere bedeutende Dirigenten an der Straßburger Oper tätig: Hans Pfitzner, Wilhelm Furtwängler, Otto Klemperer und George Szell. Von 1919-38 war Paul Bastide musikalischer Leiter.
Seit 1972 unter dem Dirigenten Alain Lombard verdankt die Nationaloper Straßburg ihre Einzigartigkeit den Städten, in denen sie zu Hause ist: Straßburg, Mulhouse und Colmar. Als interkommunaler Zweckverband wird sie von drei Gemeinden gemeinsam verwaltet, die jeweils ihren eigenen künstlerischen Schwerpunkt haben: die Oper in Straßburg, das Ballett der Nationaloper Straßburg – seit 1985 Centre chorégraphique national – in Mulhouse, das Opernstudio als Ausbildungsstätte für junge Sänger in Colmar. Was vor über 45 Jahren als Experiment begann, gilt heute über das Elsass hinaus als Vorbild. Bei aller Verbundenheit mit ihren regionalen und europäischen Wurzeln konnte die Nationaloper Straßburg sich als unverzichtbare Institution der französischen und deutschen Opernszene etablieren und wurde 1997 zur Opéra national erhoben.
Bei ihren Opern- wie Tanzproduktionen arbeitet sie eng mit dem Philharmonischen Orchester Straßburg unter der Leitung von Aziz Shokhakimov und dem Symphonieorchester von Mulhouse unter der Leitung von Christoph Koncz zusammen. Jedes Jahr bietet die Nationaloper am Rhein ein Programm von über 140 Opern, Tanzstücken, Liederabenden, Konzerten und Veranstaltungen für junge Menschen. 280 fest und 700 freischaffende Künstler arbeiten hier.
Das Programm der Nationaloper entspricht dem Wunsch, ein klassisches Opernrepertoire mit zeitgenössischen Stücken zu verbinden, letztere oftmals in Verbindung mit dem frühherbstlichen Straßburger Festival Musica. Werke von Giorgio Battistelli, Georges Aperghis, Aribert Reimann, Einojuhani Rautavaara, Param Vir oder Bruno Mantovani wurden so ur- oder erstaufgeführt.

arte und Musica: Hier wohnt Kultur

Das im Jahr 1982 ins Leben gerufene internationale Festival für Musik von heute ist auch unter dem griffigeren Namen Musica bekannt. Jedes Jahr im Herbst (2023 vom 15. September bis zum 15. Oktober) werden im Rahmen des Festivals Konzerte mit zeitgenössischer klassischer Musik organisiert, mit dem Ziel, einen großen Bereich für freie Kreationen zu bieten. Musica wendet sich explizit an ein breites Publikum, Musikfreunde wie Anfänger. Fünfzehn Tage lang präsentiert das Festival die bedeutendsten Werke des 20. Jahrhunderts plus Uraufführungen: Meisterwerke mit ihren Referenzen stoßen dabei auf eine neue Generation Künstler, Komponisten und Interpreten.
Wichtige Intendanten waren an der Nationaloper am Rhein zudem Rudolf Berger (1997-2003), Nicholas Snowman (2003-2009) und 2009-2017 Marc Clémeur. Seit 2020 ist Alain Perroux als Direktor verantwortlich. Er hat die Nachfolge der plötzlich verstorbenen Deutschen Eva Kleinitz angetreten und nimmt viele der von ihr angestoßenen Impulse auch weiterhin auf. Auch das Ballett der Nationaloper Straßburg, seit 2017 von Bruno Bouché geleitet, zeigt sowohl klassische Stücke als auch zeitgenössische Neuinterpretationen und eigene Kreationen.
Straßburg ist die Stadt des Europäischen Parlaments, auch der deutsch-französische Kultursender arte hat hier seinen Sitz. So hat man ein weltoffenes, kulturell interessiertes Publikum. Davon profitiert auch das im Kongresshaus in einem „seventiesroten“ Saal auftretende Philharmonische Orchester Straßburg. Es wurde 1855 gegründet und ist das älteste Orchester Frankreichs. 1994 wurde der Klangkörper mit seiner Stammbesetzung von 110 Musikern zum Nationalorchester ernannt und zählt bis heute zu den bedeutendsten Orchesterformationen Frankreichs. Aziz Shokhakimov wurde im September 2021 als Nachfolger von Marko Letonja der 15. musikalische und künstlerische Leiter. In den letzten Jahren machte das Orchester besonders auch mit seinem hervorragend besetzten Berlioz-Zyklus unter John Nelson für die Plattenfirma Erato positive Schlagzeilen.

www.operanationaldurhin.eu
www.festivalmusica.fr
www.philharmonique.strasbourg.eu

Manuel Brug, 16.09.2023, RONDO Ausgabe 4 / 2023



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