Startseite · Interview · Gefragt
(c) Lutz Voigtländer/ACT
Wie kaum ein anderer klassischer Komponist und Dirigent seiner Zeit setzte sich Leonard Bernstein für den Jazz ein, den er als große amerikanische Kunstform ansah und dem er 1956 eine wunderbare Fernsehsendung namens „What Is Jazz?“ widmete. Umgekehrt sind namhafte Jazzadaptionen von Bernsteins Werken – mit den Ausnahmen von Oscar Peterson und Dave Brubeck, die der „West Side Story“ jeweils eine eigene Platte widmeten – erstaunlicherweise Mangelware.
Woran das liegt, vermag der schwedische Posaunist Nils Landgren nicht genau zu sagen. Vielleicht, mutmaßt er, weil Bernsteins Kompositionen nicht zum sogenannten Standardrepertoire des Jazz gehören, vielleicht, weil sie eine andere Tonsprache pflegen als die herkömmlichen Musicals, auf die die Improvisatoren gerne zurückgriffen. Wie auch immer: Mit seinem Album „Some Other Time“ beendet der Schwede die Berührungsängste des Jazz mit Bernsteins Musik.
Ausgehend von einer Idee seines Produzenten Siggi Loch, der Landgren gewissermaßen als verfrühtes Geschenk zu seinem 60. Geburtstag am 15. Februar den Meisterarrangeur Vince Mendoza, Mitglieder der Bochumer Symphoniker und die Manhattan- Transfer-Sängerin Janis Siegel als hochkarätige musikalische Partner spendierte, barg der Posaunist und Sänger berühmte und weniger bekannte Songschätze aus dem Bernsteinzimmer. Jamie Bernstein, älteste Tochter des 1990 verstorbenen Maestros und eng befreundet mit Janis Siegel, half bei der Stückauswahl und bei der Formulierung der Liner Notes.
Kompositionen aus Bernsteins musiktheatralischen Werken „On The Town“, „Wonderful Town“ und „Mass“ stehen neben einigen „West Side Story“-Gassenhauern auf der Tracklist. Landgren gelingt es – mal im Quartett (mit Pianist Jan Lundgren, Bassist Dieter Ilg und Schlagzeuger Wolfgang Haffner), mal mit Orchesterbegleitung – gleichermaßen jazzklassizistische wie originelle Versionen der Lieder zu entwickeln. „Maria“ etwa verwandelt sich nach gesetztem Balladenbeginn unerwartet in eine krummtaktige New-Orleans-Party.
Aber auch der nordische Einfluss ist groß. „One Hand, One Heart“ klingt wie eine schwedische Volksweise, die CD-Ouvertüre „America“, bei der ein studiotechnisch mehrfach vervielfältigter Landgren zu hören ist, wie ein skandinavischer Posaunenchor. „Da haben sich wohl die Posaunen von Guiseppe Verdi verfahren und sind im Wald in Schweden gelandet“, lacht der 59-Jährige.
Auch wenn „Some Other Time“, das im Modern-Jazz-Quartet- Stil gehaltene Gesangsduett mit Janis Siegel, dem Album seinen Titel gegeben hat, ist „Somewhere“ das eigentliche Herzstück der Aufnahme. Und das nicht nur, weil Landgren hier zunächst auf der Posaune und dann mit seiner charakteristisch heiseren Stimme ungemein ergreifend die Melodie singt. Sondern auch wegen der völkerverbindenden Aussage des Texts.
Landgren imponierte Bernsteins gerade in den heutigen Zeiten so stark benötigter Humanismus so sehr, dass er ein Zitat des Dirigenten auf einem Blatt gesondert in die CD hat einlegen lassen: „Das ist unsere Antwort auf Gewalt: intensiver, schöner und hingebungsvoller zu musizieren als je zuvor.“ Mit seinem Album ist Nils Landgren diesem Auftrag nachgekommen.
ACT/Edel
Als JPC- und Amazon-Partner verdienen wir an qualifizierten Verkäufen.
An dieser Stelle finden Sie Inhalte eines Drittanbieters, die Sie mit einem Klick anzeigen lassen können.
Mit dem Laden des Audioplayers können personenbezogene Daten an den Dienst Spotify übermittelt werden. Mehr Informationen finden Sie in unseren Datenschutzbestimmungen.
Josef Engels, 27.02.2016, RONDO Ausgabe 1 / 2016
Meldungen und Meinungen der Musikwelt
Erst kürzlich hat Reinhard Goebel in der Fachzeitschrift „Üben & Musizieren“ der Alten […]
zum Artikel
Im Garten der Lüste
Nach „Opium“ taucht der Sänger mit seinem Album „Green“ erneut ein in die Welt des […]
zum Artikel
Oper, Lyon (FR)
Ein König wird abgesetzt, eine krächzende Karotte, eben der Ackerfurche entschlüpft, erobert die […]
zum Artikel
Ihre Wochenempfehlung der RONDO-Redaktion
An dieser Stelle finden Sie Inhalte eines Drittanbieters, die Sie mit einem Klick anzeigen lassen können.
Mit dem Laden des Audioplayers können personenbezogene Daten an den Dienst Spotify übermittelt werden. Mehr Informationen finden Sie in unseren Datenschutzbestimmungen.
Nach seiner viel beachteten Aufnahme der 7. Sinfonie setzen François-Xavier Roth und das Gürzenich-Orchester Köln ihre Bruckner-Gesamteinspielung fort. Die „Romantische“, wie Anton Bruckner seine vierte Sinfonie selbst betitelt, komponierte er 1874 inmitten einer Zeit persönlicher Niederlagen. Und er zweifelt sofort an seinem Werk, bezeichnet manche Stellen als „unspielbar“ und findet die Instrumentation „hie und da überladen und zu unruhig“. Erst Jahre später, nach […] mehr