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N° 1356
04. - 12.05.2024

nächste Aktualisierung
am 11.05.2024



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Gautier Capuçon

Mein Cello und ich

Ein Weltklasse-Musiker, ein schöner Mann, ein Franzose mit Savoir-vivre. In Nizza traf Matthias Siehler den Cello-Beau und unterhielt sich mit ihm übers umständliche Reisen mit dem Cellokasten, Haarprobleme, die Erotik des Instruments und die Promiskuität verschiedener Kammermusikensembles.

RONDO: Fühlen Sie sich als Cellist anerkannt?

Gautier Capuçon: Man sagt zwar, das Cello ist die Geige des 20. Jahrhunderts, aber die Geige ist immer noch die Geige, das heißt, so einfach bekommt man immer noch nicht die Aufmerksamkeit des Publikums …

RONDO: Und der Frauen …

Capuçon: … und der Frauen. Vielleicht, weil das Cello so ein sexy und sonores Instrument ist. Doch wenn ein Mann es zwischen die Beine klemmt, seinen Körper umfasst, das wirkt offenbar für viele verwirrend. Während wenn da eine Frau sitzt – dann werden offenbar besonders beim männlichen Publikum mehr Schlüsselreize angesprochen, obwohl das Gerät eindeutig weibliche Formen hat.

RONDO: Sie mögen also Sol Gabetta nicht?

Capuçon: I wo, sie ist eine wunderbare Kollegin, die sich eigentlich immer dagegen wehren muss, dass sie so schön ist. Denn sie spielt schließlich auch sehr gut. Aber da gibt es einige Tangoformationen, die treten explizit mit Cellistinnen auf, das ist mir zu sehr Berechnung.

RONDO: Und Ihre langen Haare, die sind keine Berechnung?

Capuçon: Huh, ich muss wirklich wieder zum Friseur. Nein, das war nur ein Versuch, die werden sicher wieder kürzer, außerdem bin ich in festen Händen. Und meine Frau ist sehr eifersüchtig.

RONDO: Und trotzdem sind sie so promisk und konzertieren nicht nur viel, sondern sind auch ein »Kammermusik-Bäumchen-Wechsler«.

Capuçon: Das stimmt nicht, da gibt es viele, aber meist dieselben. Und vor Martha Argerich oder Nicholas Angelich, mit dem ich jetzt endlich die Brahms-Cellosonaten aufnehmen werde, hat meine Frau keine Angst. Nur bei Gabriela Montero, mit der ich jetzt wieder auf Tournee gehe, da ist sie misstrauisch. Die findet schließlich immer eine Improvisationsmöglichkeit! Dafür mache ich mit meinem Bruder Renaud jetzt etwas weniger zusammen, wir haben die letzten Jahre sehr häufig Kammermusik gemacht, jetzt muss jeder mal wieder den Partner wechseln.

RONDO: Und trotzdem reisen Sie immer nur zu zweit?

Capuçon: Ja, das Cello und ich. Das ist teuer genug. Wenn ich das vorher überlegt hätte, weiß ich gar nicht, ob ich damit wirklich eine internationale Karriere angestrebt hätte. Immer braucht man zwei Plätze im Flugzeug, denn im Frachtraum ist es zu gefährlich für das teure Ding. Dabei ist es auch so schon Schlepperei genug. Und es ist dann immer ein Theater mit den Sicherheitsgurten, zudem gibt es jede Menge verständnisloser Fragen und blöder Bemerkungen. Einmal hat mich die British Airways sogar nicht mitgenommen. Sie haben sich geweigert, ein Cello auf dem Sitz zu befördern. Für den ich bezahlt hatte! Wir mussten das Flugzeug wirklich wieder verlassen.

RONDO: Hat sich denn das reichhaltige Cellorepertoire des 20. Jahrhunderts durchgesetzt?

Capuçon: Es könnte besser sein, vor allem, wenn man bedenkt, wie viele Stücke Rostropowitsch und Yo-Yo Ma initiiert haben. Aber selbst die Konzerte von Elgar und Walton werden verhältnismäßig selten verlangt.

RONDO: Und wie sieht es mit so etwas Unbekanntem wie dem Victor-Herbert- Konzert aus?

Capuçon: Ich entdeckte es, als ich zehn Jahre alt war, denn schon Yo-Yo Ma, der – wie sollte es anders sein – damals mein großes Vorbild war, hatte seine Dvořákaufnahme ebenfalls mit diesem sträflich vernachlässigten Konzert gekoppelt. Es ist sehr virtuos, klingt voll, hat aber mehr als nur einen Touch von Broadway und ist sehr musikalisch. Außerdem wurde Dvořák, nachdem er dieses Konzert gehört hatte, ebenfalls zu einem großen Cellowerk inspiriert. Und der Rest ist Geschichte! Freilich ist es nicht einmal Yo-Yo gelungen, es nachhaltiger bekannt zu machen. Deshalb versuche ich es jetzt noch einmal.

Neu erschienen:

Dvořák, Herbert

Cellokonzerte

Gautier Capuçon, hr-Sinfonieorchester, Paavo Järvi

Virgin Classics/EMI

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Matthias Siehler, 12.04.2014, RONDO Ausgabe 1 / 2009



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