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Schon jetzt hat der 38-jährige Florian Uhlig eine beeindruckende Diskografie aufzuweisen. Sie wird in den kommenden Jahren noch rasant wachsen: Zusätzlich zu den 15 CDs seiner Gesamteinspielung des Klavierwerks von Robert Schumann wird der gebürtige Düsseldorfer, der seit dem Studium in London lebt, das pianistische Gesamtwerk von Maurice Ravel aufnehmen. Und zum 80. Geburtstag von Krzysztof Penderecki spielt er auch dessen Klavierkonzert ein. Den Startschuss zur Plattenkarriere aber gab ein Live-Mitschnitt mit Hermann Prey.
Das ist Hermann Prey, unverkennbar. Sehr einfach gehalten, sehr berührend. Eine Aufnahme der 70er Jahre vielleicht. Mit ihm zu spielen war eine prägende Erfahrung. Ich war 21 und hatte von Liedbegleitung herzlich wenig Ahnung. Sein fester Partner Michael Endres konnte bei einem Konzert auf Preys Festival in Bad Urach nicht dabei sein, und ich bin kurzfristig eingesprungen. Hermann Prey hat sich sehr viel Zeit für mich genommen. Er zeichnete sich bis ins Alter durch eine unbändige Neugierde aus, und dazu passt, dass er sich mit einem ganz jungen Pianisten zusammen tat. Ich denke, wir hätten länger zusammengearbeitet, wenn er nicht gestorben wäre. Man lernt so viel, wenn man Sänger begleitet, und das Repertoire ist so wichtig. Mir kommt jetzt bei meinem Schumann- Projekt die Erfahrung zugute, dass ich all seine Liedzyklen auf dem Klavier begleitet habe. Es ist eine unglaublich intime Art des Musizierens. Ich mache das noch ab und zu, leider ist das Lied fast verschwunden aus den Konzertsälen.
Eine sehr impulsive Deutung mit vielen agogischen Freiheiten, interessant. Aber was kann man bei einem halbstündigen Werk beurteilen nach so wenigen Minuten? Die Fantasie ist ein wunderbares Werk, eine der größten Herausforderungen bei Schumann. Klanglich sehr schön aufgenommen. Ein russischer Kollege? Nein, dann weiß ich es nicht … Zu Schumann habe ich mich schon immer hingezogen gefühlt, wie er zwischen den Welten changiert, zwischen Literatur und Musik, zwischen Ordnung und emotionaler Impulsivität, zwischen Virtuosität und vermeintlicher Einfachheit. Schumanns Werke machen äußerlich nicht so einen Effekt wie die von Liszt zum Beispiel. Nehmen Sie die kürzeren Stück für seine Töchter: Die sind auf den ersten Blick sehr einfach gehalten, aber wenn man sie wirklich orchestral sieht, wie sie unzweifelhaft konzipiert sind, dann ist da noch ein Horn und da noch ein Fagott, und all diese Farben auf zum Teil sehr engem pianistischem Raum zu entwickeln, ist unglaublich schwer. Man muss bei Schumann an der klanglichen Einrichtung sehr hart arbeiten ... So eine Gesamteinspielung beleuchtet die herausragenden Einzelwerke anders: Wir gehen thematisch, nicht chronologisch vor, und jede CD eröffnet einen neuen Blickwinkel. Die Schumann-Forschung hat in den letzten Jahren viele Fortschritte gemacht, und die neu entdeckten Werke sind nicht nur Kuriositäten am Rande. Es ist faszinierend, aus Schumanns Notizen einen genaueren Einblick zu gewinnen, wie er musikalisch gearbeitet und empfunden hat. Und mit jeder CD wird er mir auch als Mensch vertrauter. Für die neue CD habe ich eine kleine Fuge selbst ergänzt, und das geht einem dann viel leichter von der Hand.
Das ist interessant, weil durch den brillanten Klang des alten Flügels Klavier und Orchester nicht so verschmelzen. Mit der klanglichen Ausdünnung geht aber auch ein anderer interpretatorischer Ansatz parallel: Es ist mit wenig Rubato gespielt, so rückt es mehr in Beethoven-Nähe. Es ist gut musiziert. Ich habe mal Beethoven op. 111 auf einem alten Instrument gespielt. Der erste CDur- Akkord im zweiten Satz wirkt auf dem modernen Flügel sehr eigenartig. Wenn man das auf einem Instrument der Zeit spielt, merkt man plötzlich, wie diese Klangbilder aufeinander abgestimmt sind, unglaublich reich und satt und dennoch transparent. Ich finde so eine Einspielung absolut interessant. Ob man es so spielen muss, ist eine philosophische Diskussion. Wir Pianisten nehmen oft das, was im Saal steht. Und wo findet man einen Hammerflügel oder auch nur einen älteren Flügel, der gut in Schuss ist?
Hier ist viel Schumann drin, aber es ist nicht Schumann, oder? Am Klavierpart merkt man, dass es nicht diese Substanz hat. – Es ist Adolph Henselts Klavierkonzert, eingerichtet von Schumann für Clara zur Uraufführung 1845. – Das ist interessant. Man sieht Schumann oft nur als das durchgeknallte Genie, das dann schließlich in den Rhein springt. Aber er war auch eine Art Dieter Bohlen des 19. Jahrhunderts, der sich als Produzent betätigt und Kollegen durch Arrangements und Rezensionen unter die Arme gegriffen hat. Er muss ein sehr guter Geschäftsmann und Organisator gewesen sein … Es ist verdienstvoll, so ein Werk im Rahmen eines Schumann- Projekts zu präsentieren. Ich werde allerdings nur Werke von Schumann selbst einspielen.
Ich lehne mich jetzt schon aus dem Fenster und sage: Das ist kein französischer Pianist. Ich empfinde das Stück deutlich anders in der agogischen und farblichen Behandlung. Ravel wollte zwar sehr wenige Rubati, und wenn, dann sehr subtil. Doch das ist hier ein bisschen unelastisch, es könnte mehr misterioso sein, mehr Poesie haben. Man kann den Noctuelles viele Zwischenfarben abgewinnen, man kann wunderbare Klangflächen mit dem Pedal gestalten. (Wir hören in die verschiedenen Sätze hinein.) Mir fehlt ein bisschen die klangliche Sinnlichkeit. Das ist nicht sehr französisch gespielt. Doch? Jetzt sagen Sie nicht Aimard! Das hätte ich anders erwartet. Ich kann auch nicht sagen, dass es besonders analytisch gespielt wäre. Man müsste den ganzen Zyklus durchhören und dem Höreindruck eine Chance geben. Ich bin seit Kindesbeinen ein großer Fan von Ravel, sein Gesamtwerk aufzunehmen ist ein wunderbares Pendant zu Schumann. Aber es gibt auch Analogien: wie sie den Klaviersatz orchestral konzipieren, wie sie aus einer Perspektive der Rückschau komponieren und diese Retrospektive poetisch einbinden. Beide schreiben sie Zyklen und keine großen Einzelwerke. Und beide verbindet die Lust am Rollenspiel.
Arnt Cobbers, 30.11.1999, RONDO Ausgabe 1 / 2013
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