home

N° 1354
20.04. - 01.05.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



Startseite · Oper & Konzert · Da Capo

(c) Monika Rittershaus

Zaren-Dummy: Rimski-Korsakows "Die Zarenbraut"

Berlin, Staatsoper

Dmitri Tschernjakov, der 2011 das Bolschoi- Theater wiederöffnete (mit Glinkas „Ruslan und Ludmila“), ist der zurzeit angesagteste – und wohl teuerste – Opernregisseur aus Russland. Umso mutiger seine Idee eines ‚Zaren- Dummys fürs Volk’ in seiner Inszenierung der „Zarenbraut“ von Nikolai Rimski-Korskakov. Geradezu putinkritisch, denn es geht in dieser Aktualisierung um die Erschaffung eines nur medial existierenden, steuerbaren und gänzlich fiktiven Fernsehkopfes als Führungspersönlichkeit. Nur die „Zarenbraut“, so die Entscheidung der russischen Medienexperten, soll echt sein – und wird in einem landesweiten Casting ausgesucht.
Der Abend ist derart aufwendig, dass beim ZDF ein ganzes Fernsehstudio ausgebaut werden musste, um die flimmernden, computeranimierten Rasterfantasien szenisch glaubhaft zu machen. Die Figuren entwickelt Tschernjakov stark aus den Personen seiner Darsteller heraus. So kann Olga Peretyatko als kühle Braut den Abend sinnlich dominieren. Mit Johann Martin Kränzle als herrlich deklamierendem Bösewicht (Grjasnoj) und der georgischen Weltklasse-Altistin Anita Rachvelishvili geht der Abend ab wie nichts. Sogar zwei Altstars hat man aufzubieten: Anatoli Kotscherga (Abbados „Boris Godunov“) und – erstaunlich gut imstande – Anna Tomowa-Sintow (Karajans Marschallin in den 80er Jahren). Sie liefern ausgefeilte Rollenporträts, die den Abend zu einem der gelungensten der letzten Jahre in Berlin machen.
Das Werk war ein Wunsch von Daniel Barenboim, der hier angriffslustig, expressionistisch aufgrellend und beißend dirigiert. Man merkt die Lust, mal wieder etwas Ungewohntes in Händen zu halten. Rimskis antiwagnerische Klangwülste repräsentieren ein Meisterwerk der romantischen Oper zwischen Tschaikowski und Mussorgski. Schön, dass man sich in Berlin wieder stärker einem Repertoire zuwendet, in dem offenbar herrliche Wiederentdeckungen zu machen sind.

Robert Fraunholzer, 07.12.2013, RONDO Ausgabe 6 / 2013



Kommentare

Kommentar posten

Für diesen Artikel gibt es noch keine Kommentare.


Das könnte Sie auch interessieren

Pasticcio

Zwei stillere Stars

Als Daniel Barenboim 2017 im Rahmen einer Aufführungsreihe von sämtlichen Schubert-Klaviersonaten […]
zum Artikel

Pasticcio

Fair-Trade & Öko

Im sächsischen Vogtland und speziell im schönen Städtchen Markneukirchen wird seit vielen […]
zum Artikel

Pasticcio

Gegen den Aktualisierungswahn

Meldungen und Meinungen der Musikwelt

Bei Namen von Regietheater-Veteranen wie Hans Neuenfels und Peter Konwitschny klingelt es bei […]
zum Artikel


Abo

Top