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N° 1355
27.04. - 03.05.2024

nächste Aktualisierung
am 04.05.2024



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(c) Giulia Papetti

Accademia Bizantina

Form folgt Leidenschaft

Gang zum Nachbarn: So einfach gestaltet sich für das Barockensemble unter Ottavio Dantone die Aufführung der Concerti grossi Corellis.

„Arcangelo Corelli ist ein wunderbarer Partner der Musiker. Wenn ich ihm alle paar Jahre dieselben Fragen stelle, dann beantwortet er sie immer anders, klug, intelligent, rhetorisch geschliffen. Ich werde nicht fertig, darüber zu staunen. Und muss ihn deshalb wohl in ein paar Jahren neuerlich mit meinen Fragen nerven. Und bin jetzt schon gespannt auf die Antwort.“
Das sagt einer, der es wissen muss: Ottavio Dantone, italienischer Cembalist, Pianist und Dirigent, der insbesondere für seine Einspielungen von Barockmusik bekannt ist. Seit 1996 ist er Musikalischer Leiter der Accademia Bizantina, gerade hat er zudem die Leitung der Innsbrucker Festwochen der Alten Musik übernommen. Mit seinem Ensemble hat er jetzt Corellis berühmtestes und folgenreichstes Werk aufgenommen: die 12 Concerti grossi op. 6.
Diese Sammlung von zwölf Konzerten, die Arcangelo Corelli wahrscheinlich in den 1680er Jahren schrieb, aber erst 1714 zur Veröffentlichung vorbereitete, gehören zu den schönsten und ersten Beispielen für Concerti grossi: Das nämlich sind Konzerte für eine Concertino-Gruppe (hier eine 1. Violine, eine 2. Violine und ein Cello) und eine Ripieno-Gruppe von Streichern mit Continuo. Ihre späte Veröffentlichung – Jahrzehnte nachdem italienische Komponisten bereits die mit Vivaldi assoziierte Form des Ritornellkonzerts bevorzugten – löste in Deutschland und England eine Welle von Concerto-grosso-Kompositionen aus. Insbesondere Georg Friedrich Händel ehrte Corelli 1739 direkt mit seiner eigenen, zwölfteiligen Sammlung „Opus 6“.
Ottavio Dantone freilich geht rückwärts, er hat – übrigens für das eigens gegründete Label der Accademia Bizantina – im letzten Jahr ihre Aufnahme der Händel-Werksammlung veröffentlicht, jetzt folgt Urvater Arcangelos Beitrag. Nächstes Jahr gibt es, bereits eingespielt, als dritte Folge noch sechs Concerti grossi op. 3 von Francesco Geminiani (1687-1762): „Es war interessant zu sehen, wie Händel, der als einer der besten den italienischen Stil gelernt hat, dabei doch immer auch einen sehr deutschen Contrapunctus pflegt. Geminiani wiederum ist ein unglaublich guter Rhetoriker, und er ist eben Italiener. Der findet wieder einen ganz individuellen Zugang zum Concerto-grosso-Modus. Das hat diese direkt aufeinanderfolgende musikalische Auseinandersetzung interpretatorisch so spannend gemacht.“

Die Musiker sprechen sogar Corellis Dialekt

„Die Konzerte Corellis“, so schrieb der Historiker, Musikkritiker und Reisende Charles Burney, „scheinen allen Angriffen der Zeit und der Mode mit größerer Festigkeit widerstanden zu haben als alle seine anderen Werke. Die Harmonie ist so rein, so reich und so dankbar; die Teile sind so klar, klug und genial angeordnet; und die Wirkung des Ganzen, gespielt von einer großen Kapelle, ist so majestätisch, feierlich und erhaben, dass sie jede Kritik ausschließen und uns vergessen lassen, dass es irgendeine andere Musik der gleichen Art gibt.“ Diese scharfsinnige Einschätzung findet sich in Burneys 1776 begonnener und 1789 mit der Veröffentlichung des vierten und letzten Bandes abgeschlossenen „History Of Music“, einem Werk von unschätzbarem Wert für die Musikszene jener Zeit. Das aber auch eine besondere Bedeutung für die Accademia Bizantina hat. Denn man sieht Corelli quasi als Nachbarn an.
Warum? Die Accademia Bizantina wurde 1983 in Ravenna mit dem Ziel gegründet, „Musik wie ein großes Quartett zu spielen“. Heute sitzt man in dem hübschen Örtchen Bagnacavallo. Und das wiederum liegt nur wenige Kilometer von Corellis Heimatstadt Fusignano, ja viele Musiker teilen den lokalen Dialekt.
„Also ist Arcangelo Corelli der Komponist, der die Identität der Accademia Bizantina am meisten verkörpert, und die Tatsache, dass wir aus der gleichen Gegend stammen, auch wenn wir nicht gleichaltrig sind, hat uns schon immer fasziniert und uns das Gefühl vermittelt, eine privilegierte und einfühlsame Beziehung zu ihm zu haben“, meint Ottavio Dantone. „Seine Musik hat uns seit Beginn unseres Abenteuers als Orchester immer beeindruckt. In diesen vierzig Jahren haben wir seine Werke hunderte Male aufgeführt und bereits zweimal die gesamten Concerti grossi aufgenommen.“
Die jüngste Einspielung erfolgte nun in einer wunderbaren Woche Anfang Mai in einem Theater am Waldrand: Das im Frühjahr 2004 eingeweihte Teatro Dimora ist ein einfaches Bauwerk in einem neun Hektar großen Arboretum mit 6000 Pflanzen in der Nähe des 1000-Einwohner-Dorfes Mondaino, das aus umweltfreundlichen Materialien errichtet wurde. Die Form erinnert bewusst an ein großes Blatt, das auf dem Rasen liegt, und das Dach besteht aus polychromen Materialschuppen in den Schattierungen und Farben der Natur. Die Struktur des Theaters besteht aus laminiertem Holz, während die Böden aus Holz und Terrakotta gefertigt sind. Die Fenster öffnen sich zum Tal hin und sorgen für natürliche Beleuchtung. Das Teatro Dimora wird von der Provinz Reggio Emilia für Ausbildungsaktivitäten, kreative Residenzen, Proben für die Produktion neuer Werke, Treffen und Aufführungen betrieben.
Die Accademia, die zudem im Teatro Goldoni in Bagnacavallo aufnimmt, kommt inzwischen gern hierher, weil sich dort auch größere Werke abbilden lassen. So hat man bereits Schumanns Rheinische und Mendelssohn Bartholdys Italienische Sinfonie vor den Mikros des Teatro Dimora erklingen lassen. Und für die Corelli-Veröffentlichung kooperiert man nicht nur mit Apple Music, sondern für einige Videoclips auch mit Tänzern der DaCru Dance Company in einer Choreografie von Marisa Ragazzo. So sieht man den Plan der Accademia Bizantina, jede neue künstlerische Initiative, auch im Bereich der Musik, in ein kunstübergreifendes Projekt umzuwandeln, gestärkt und gefestigt.

Infos und CDs unter:

www.accademiabizantina.it/en

Neu erschienen:

Arcangelo Corelli

12 Concerti grossi op. 6

Accademia Bizantina, Ottavio Dantone

2 CDs oder digital, Eigenverlag

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Manuel Brug, 25.11.2023, RONDO Ausgabe 6 / 2023



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