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27.04. - 04.05.2024

nächste Aktualisierung
am 04.05.2024



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Die neue Goll-Orgel in der Stadtkirche St. Laurenzen von St. Gallen © Klaus Stadler

Orgel St. Laurenzen

„An absolute triumph!“

Das schweizerische St. Gallen besitzt in St. Laurenzen ab sofort eine musikalische Weltattraktion – in Form der ersten Surround-Orgel!

Eigentlich ist ja eine Kirchenorgel immer als Anschaffung für gleich mehrere Leben und mindestens für die halbe Ewigkeit gedacht. Aber es muss nicht immer nur der Zahn der Zeit sein, der am Instrument nagt und damit umfangreiche Restaurierungsarbeiten nötig macht. Manchmal sind es einfach „verbaute“ Unzulänglichkeiten und Misstöne, die noch einmal eine grundlegende Revision der Orgel auf den Plan rufen. Genau diese Mammutaufgabe stand dem Organisten Bernhard Ruchti bevor, als er 2014 an die Stadtkirche St. Laurenzen in St. Gallen wechselte. Denn obwohl die Kuhn-Orgel noch gar nicht so alt war, sondern erst Jahrgang 1978, haderte man bereits mit ihrem nicht gerade ausgewogenen und bisweilen etwas asthmatisch anmutenden Klangbild. Als Ruchti nun seinen neuen Arbeitsplatz antrat, gab es bereits so manche Planspiele – bis hin zur Überlegung, ob das alte nicht einfach durch ein neues Instrument ersetzt werden sollte.
Doch Ruchti hatte den rettenden Geistesblitz. Ihm schwebte eine Art 3D-Orgel vor, bei der die bisherige Orgel beibehalten werden konnte. Dafür sollten einige der prägenden Pfeifenfamilien auf den übrigen drei Emporen der Kirche einen neuen Standort finden und damit für ein Raumklangerlebnis sorgen, bei dem der Zuhörer nicht mehr länger nur frontal beschallt, sondern in Musik gehüllt wird.
Die neue Orgel setzt sich so aus insgesamt vier Standorten zusammen. Es sind die Hauptorgel im Osten, das Flötenwerk im Süden, das Prinzipalwerk im Westen und das Streicherwerk im Norden. „Die neuen Werke repräsentieren je eine der Hauptklangfarben bzw. Hauptpfeifenfamilien einer Orgel“, so Bernhard Ruchti. „Mit anderen Worten: Der Gesamtklang einer Orgel ist in den drei neuen Werken in die einzelnen Klangfamilien oder Klangfarben aufgeteilt. Das Gesamtinstrument in St. Laurenzen macht also akustisch das, was optisch ein Prisma macht: Es nimmt die Gesamtheit des Klangs und spaltet sie in die einzelnen Klangfamilien auf.“
Um dieses in der Orgelbaugeschichte wohl einzigartige Projekt entsprechend spektakulär umzusetzen, sicherte man sich die Dienste der Schweizer Orgelbaufirma Goll. Ruchti: „Hinsichtlich des Klangs ist einerseits die wunderbare Abstimmung der einzelnen Register und Klangfarben hervorzuheben, die sich untereinander und im Raum perfekt mischen. Das ist bei einer so komplexen Anlage sehr anspruchsvoll und das Ergebnis zeugt von enormer Meisterschaft. Anderseits ist die Wärme der einzelnen Register hervorzuheben, die unter die Haut geht und berührt. Es ist in diesem Sinne ein sehr sinnliches, irdisches Instrument, das die Zuhörenden in eine neue Dimension führt.“
Rund 2,8 Millionen Schweizer Franken hat diese orgelbautechnische Pionierleistung gekostet. Wobei mit 1,6 Millionen Franken der Löwenanteil von spendablen Musikfreunden kam. In der ersten September-Hälfte wurde jetzt das neue Instrument im Rahmen zweier Einweihungswochen auf Herz und Nieren geprüft. Und mit dem Franzosen Olivier Latry sowie dem Engländer Thomas Trotter hatte man auch gleich ein paar Starorganisten eingeladen, um diese Surround-Orgel nach allen Regeln der klangraumfüllenden Kunst ‚auszufahren‘. Trotter war es auch, der diesen Orgelumbau gleich mit einem Superlativ würdigte – und als „an absolute triumph!“ bezeichnete.

Nächstes Konzert:

Donnerstag, 2. November 2023, 19.30 Uhr
Kirche St. Laurenzen, St. Gallen (CH)
Konzert zum 150. Geburtstag von Max Reger
Bernhard Haas (München), Orgel
www.laurenzen.ch

Guido Fischer, 28.10.2023, Online-Artikel



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