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N° 1355
27.04. - 03.05.2024

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am 04.05.2024



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Frischer Nordwind: Skandinavische Klänge steuerte eine Nickelharpa schon zum Eröffnungskonzert bei (c) Florian Quandt

Kammermusikfest Sylt 

Nordlichter

Nordisch inspirierte Kammermusikwerke tauchen das Eiland der Schönen und Reichen in ungewohnte und begeisternde Klangfarben.

„Man denkt, ohne Schumann und Brahms wird das Hardcore“, hatte Claude Frochaux schon zum Auftakt des sechstägigen Kammermusikfestes Sylt (KMF) sein Publikum augenzwinkernd beruhigt. „Doch wir möchten Ihnen Stücke näherbringen, die noch niemand von uns zuvor gehört hat.“ Was nicht zu viel versprochen war, denn wer unter den Besuchern war bis dahin schon jemals Werken von Komponisten wie Gunnar de Frumerie, Elisabet Olin oder Kaj Chydenius begegnet? Dramaturgisch indes nur konsequent, hatte der künstlerische Leiter doch im elften KMF-Sommer sein Programm übertitelt mit „Nordlichter“ – und deren ganz besonderer Schein spannte den Bogen über die Musik eines jeden Konzertes zu den begleitenden Gedichten, Geschichten und Erzählungen der nordischen Literatur: von grün schimmernden Polarlichtern über die wohlige Helligkeit dänischen „Hygge“-Empfindens bis hin zu grellen Blitzen aus der nordischen Mythologie. Oder eben auch zu diesem unvergleichlichen hellen Schimmer, der Sommers an der Spitze Sylts zu erleben ist und dem Urlauber eine Ahnung von den weißen Nächten Skandinaviens gibt, wo es in diesen Monaten nie wirklich dunkel wird.
Eine wohlvertraute Stimmung auch für den heimlichen Stargast dieser Tage: Olli Mustonen – einer der großen Namen in der Klassikwelt, dessen Vielseitigkeit als Pianist, Dirigent und Komponist ihn zum Exoten wie auch zum gefragten Künstler zwischen Berlin und Chicago, Helsinki und Sydney macht. Und der als „Composer in Residence“ nun auf Sylt nicht nur in jedem Konzert eines seiner Werke präsentierte, sondern sogar zwei Uraufführungen aus der Taufe heben ließ. Keineswegs leichte, auf Gefälligkeit und Durchhörbarkeit setzende Kost also: Vielmehr bewies Cellist Frochaux einmal mehr seinen Sinn für dramaturgische Konzepte, unternahm mit den ausgewählten Werken nicht allein einen Streifzug durch nordische Musikgeschichte, sondern verband auch bewusst in jedem Konzert Repertoire der Romantik mit zeitgenössischen Stücken. Und, kleines Wunder in dem viel zitierten Eiland der Reichen und Schönen, das in den Sommerwochen je nach Strandpromenade und (überteuertem) Restaurant bisweilen in der Tat wie das Mekka breitreifiger SUV-Fahrer und schönheitsoperierter mittelalter Damen wirkt: Das Publikum zog mit, lauschte selbst den ungewohnten, bisweilen verstörenden modernen Klängen aufmerksam und feierte nicht zuletzt den Komponisten Mustonen.
Mit seiner Verpflichtung war ein echter Coup geglückt: Der vielgefragte Finne probte gleich mehrere Tage mit dem guten Dutzend Musikerkollegen auf Sylt – „es ist eine ganz spezielle Atmosphäre hier, umgeben von Wind und Natur“ – und zeigte sich so begeistert von den KMF-Ideen, dass er sich beim Finale kurzerhand das Mikrofon schnappte, um Frochaux zu danken: „Das ist wirklich faszinierend hier!“ Was auch die schnöden Zahlen eindrucksvoll unterstrichen: Die Zahl der Besucher gegenüber dem Rekordjahr 2022 nochmals um 66 Prozent (!) auf mehr als 2000 gesteigert, eine Auslastung von fast 90 Prozent – „wir wollen ein Festival für die ganze Insel machen“, freute sich Geschäftsführer Malte Ruths. „In diesem Jahr ist uns das noch einmal mehr gelungen.“

Weitere Infos:

www.kmfsylt.de

Christoph Forsthoff, 16.09.2023, RONDO Ausgabe 4 / 2023



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