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N° 1355
27.04. - 03.05.2024

nächste Aktualisierung
am 04.05.2024



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(c) Marco Borggreve

Oliver Schnyder

Mit der ersten Welle zu Bach

Schnyder gehört zu den spannendsten Pianisten der Schweiz. Die „Goldberg-Variationen“ hat er gleich zweimal aufgenommen, bevor er zufrieden war.

Wenn man Kenner der Materie nach den besten Pianisten der Schweiz fragt, dann fällt bald der Name Oliver Schnyder. Der 49-jährige Künstler studierte bei Homero Francesch an der Zürcher Hochschule der Künste sowie bei Ruth Laredo und Leon Fleisher in den USA. Sein erstes Erlebnis mit den „Goldberg-Variationen“ hatte Schnyder bei einem halbprivaten Konzert des Schweizer Pianisten Rolf Mäser. „Der hat sich mit dem Stück auf dem Clavichord versucht“, erinnert sich Schnyder schmunzelnd. „Das Werk hat sich mir damals nicht erschlossen, ich war viel zu jung und zu unwissend.“ Später entdeckte Schnyder unter den Platten seines Vaters die Glenn-Gould-Aufnahme der „Goldberg-Variationen“ von 1981: „Das war mein Haupttrigger“, erklärt der Pianist, „während meines Studiums habe ich jedoch nur das Nötigste an Bach gespielt: Ein paar Präludien und Fugen, das ‚Italienische Konzert‘ und ein paar Suiten. Denn meine Lehrer haben alle keinen Fokus auf Bach gelegt.“ Auch die Konzertveranstalter fragten ihn nicht nach Bach: „Man hat mich mit dem deutschen Repertoire ab der Klassik identifiziert“, resümiert er, „mit Haydn, Mozart, Beethoven, Schubert, Schumann und Brahms.“
Erst im Stillstand der Corona-Pandemie fand der Pianist die nötige Zeit, sich intensiv mit den „Goldberg-Variationen“ zu beschäftigen: „Am ersten Tag des Lockdowns habe ich mich sofort ins Studio zurückgezogen und die Partitur aufgeschlagen“, erzählt Schnyder. Nun konnte er sich auch in aller Sorgfalt zum Werk belesen. „Ich habe von Kollegen viel Literatur erhalten“, erinnert er sich. Vor allem was die Verzierungstechnik betrifft, hatte der Schweizer Pianist Nachholbedarf. Schließlich hatte er einen Studiotermin 2020 gebucht, um den Zyklus aufzunehmen, allerdings auch mit dem Plan, die Variationen vorher ausgiebig im Konzert zu spielen. Das jedoch vereitelte die zweite Welle der Pandemie, somit konnte Schnyder keine Live-Erfahrung in die Studioarbeit miteinbringen und empfand das Resultat als unbefriedigend. Prompt ging er 2022 erneut vor die Mikrofone, um den Zyklus erneut einzuspielen. Diesmal war er mit dem Ergebnis sehr zufrieden, was sich bei der Begegnung mit der Aufnahme für den Hörer gut nachvollziehen lässt.
Schnyder wählte für die Einspielung einen Bösendorfer-Konzertflügel 280VC mit einem warmen singenden Ton. Er spielt die Aria in einem sehr langsamen Tempo, das in seiner meditativen Haltung an die Gould-Aufnahme von 1981 erinnert. In der ersten Variation legt er dann jedoch als Kontrast ein flottes Tempo vor, die vierte Variation hat genau die nötige Resolutheit, die fünfte etüdenhaften Charakter, allerdings klingt sie nicht so motorisch-maschinell wie in der frühen Gould-Aufnahme von 1955, sondern deutlich kultivierter. Sehr lobenswert sind die brillant ausgeführten freien Verzierungen, die Schnyder immer wieder hinzufügt, sie bringen Frische mit ein und beleben die Sätze. Nach dieser Einspielung kann man nur hoffen, dass Oliver Schnyder bald das nächste Bach-Album folgen lässt. Wie wäre es mit der „Kunst der Fuge“?

Neu erschienen:

Johann Sebastian Bach

Goldberg-Variationen BWV 988

Oliver Schnyder

Prospero/Note 1

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Mario-Felix Vogt, 16.09.2023, RONDO Ausgabe 4 / 2023



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