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N° 1355
27.04. - 03.05.2024

nächste Aktualisierung
am 04.05.2024



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(c) Ben Wolf

Jonathan Tetelman

Sportiv und funkelnd

Nach „Arias“ legt der Sänger mit einer Hommage an den wohl meistgespielten Opernkomponisten nach – und auch „The Great Puccini“ spart nicht an Tenorschlagern. Recht so!

Edel, vielfarbig, feinsinnig präsentiert sich die angenehme, aber mit einigen Metallbeigaben auch durchschlagskräftige Stimme des 35-jährigen Tetelman, der durch seine gleißend schöne, ja elegante Leichtigkeit wie jugendliche Unbekümmertheit aufhorchen lässt. Die 15 Ausschnitte aus acht Puccini-Opern („Edgar“ und „Gianni Schicchi“ fehlen) offerieren einen abwechslungsreichen, Lust machenden Klangparcours von dem frühen „Le Villi“ bis zur finalen „Turandot“. Und immer blüht hier – begleitet von Carlo Rizzi am Pult der geschmackssicheren PKF - Prague Philharmonia – eine feingeführte Spinto-Stimme angenehm wiedererkennenswert auf.
In Jonathan Tetelman, der kürzlich auch im Salzburger „Macbeth“ eine wirklich festivalwürdige, richtig besetzte Stimme offerierte (wenn auch nur in einer einzigen, ihm vom Komponisten zugestandenen Macduffo-Arie), hat die Opernwelt endlich wieder einen frischen, gutaussehenden Interpreten für die großen italienischen Tenorrollen. Und er kommt genau zur rechten Zeit: Denn sowohl Jonas Kaufmann wie auch Piotr Beczała segeln langsam auf den Herbst ihrer Karriere und die Rente zu.
Jonathan Tetelman vereinigt das Beste aus zwei Welten: Lateinamerikanisches Pfeffertemperament samt Latino-Feuer und US-amerikanisches Arbeitsethos und Fleiß. Denn der Chilene aus Castro wurde von einem Ehepaar in New Jersey adoptiert. Statt als Tellerwäscher jobbte er als DJ, während er die fälschlich zunächst auf den Baritonpfad gebrachte Stimme auf Tenor umstellte, und Pop hat immer noch einen Platz in seinem Herzen. Und seine Eltern, der Vater ist Anwalt, haben es durchaus richtig gemacht, findet er: „Ich musste mir meinen Lebensunterhalt immer selbst verdienen, jeden Dollar.“
Später brachte er auch viel Zeit und Energie auf, um sich wirklich mit allen Finessen des Tenorgesangs vertraut zu machen, den historischen, den technischen und den stilistischen. Er selbst nennt sich sogar „einen totalen Technik-Nerd. Ich liebe es, über die Stimme und die Stimmtechnik zu philosophieren, sie zu verstehen und zu trainieren. Ich habe sogar einen Gruppenchat mit ein paar Kollegen, in dem wir uns nur über Stimmtechnik austauschen und uns gegenseitig Videos schicken.“
Er sieht es durchaus positiv, vokal ein Spätentwickler zu sein. Er weiß, Tenor zu sein bedeutet viel mehr Arbeit, man singt in einer unnatürlichen Stimmlage und muss diese in eine natürliche Stimmlage überführen, ohne dass die Leute den Unterschied bemerken: „Es erfordert eine Menge Technik und Können, als Tenor zu singen. Heute bin ich mir sicher, im richtigen Fach angekommen zu sein.“ Auch gewissen Rituale pflegt er. Vor einem Auftritt nimmt er gern ein schönes, warmes Bad, atmet den Dampf ein, dann chillt er, spart seine Energie. Und schon in der Nacht davor und am Tag des Auftritts, ist er nicht erreichbar.

Muskeln zeigen, doch mit Reserve

Auf dem Puccini-Album ist es deutlich zu hören: Jonathan Tetelman liebt maskuline, testosteronsatte, sportive Stimmen wie die von Mario Del Monaco, Enrico Caruso oder Franco Corelli, Goldbronze mit viel Biss eben. Aber er hat auch die leichteren Lyriker wie Beniamino Gigli, Giacomo Lauri-Volpi oder Luciano Pavarotti genau studiert, die feinen Kringel, die glänzen und funkeln. So weiß er genau, wie er die gesamte Dimension des Klangs erfassen kann: nicht zu viel Wumms, immer Reserve, Muskeln zeigen, aber nicht zu sehr anschwellen lassen. Schön sein Legato halten, auch Schmettertöne mühelos ansetzen. Und ja nicht verkrampfen, sein inneres Lächeln bewahren, auch wenn man von Traurig-Dramatischem singt.
Puccini hat Jonathan Tetelman auch den professionellen Durchbruch beschert, gleich zweimal. Denn seit er 2018 für Piotr Beczała beim Tanglewood Music Festival des Boston Symphony Orchestra als Rodolfo in „La bohème“ eingesprungen ist, begannen die Klassik-Profis, sich seinen Namen zu merken: „Es war wie der Super Bowl – nur ein einziger Auftritt, eine Chance. Aber ich habe es geschafft und viele gute Kritiken bekommen. Das hat mir die Türen geöffnet.“
Spätestens 2019 machte er in ­einer Berliner „Bohème“ Furore, inszeniert von Barrie Kosky an der Komischen Oper, nicht unbedingt der zentrale Platz für Goldkehlen. 2021 begeisterte er dann – freilich Covid-bedingt ohne Publikum – in der ansehnlichen Christof-Loy-Premiere von Zandonais Verismo-Schmachtfetzen „Francesca da Rimini“ an der Deutschen Oper Berlin. Die Produktion gibt es inzwischen auf DVD, und auch die Premiere vor Publikum wurde mit ihm beifallsumtost nachgeholt. Bebend blüht die Stimme in den beiden emotionalen Duetten Francescas mit ihrem Beau. Bereits nach der Stream-Version der Oper hat dann auch ein Major-Label zugeschlagen – und zwar gleich mit einem Exklusivvertrag. Und auch Opernpreise räumte Tetelman mit seinem Debüt-Album ab.
Kein Wunder, dass man sich von Wien bis Berlin, London bis New York überbietet, diese Goldkehle engagieren zu können. Und natürlich – da sind Alben-Veröffentlichungen und Auftrittspläne heutzutage stets synchronisiert – mit viel Puccini. Daneben stehen aber auch Liedrezitals und Galakonzerte von Shenzhen bis Gstaad, Lissabon und Prag, Berlin, Istanbul und Wien an.
Gern singt er, der inzwischen mit einer Rumänin verheiratet ist, eine Tochter hat und so schnell es geht nach Berlin umziehen möchte, selbst heute noch bisweilen in einer Karaoke Bar, aber die Emotionen der Oper haben ihn längst vollgültig gefangen: „Man will ja nicht die ganze Zeit mit seinem Gesang auf das Publikum einprügeln, sondern man will auch eine gewisse Intimität, Eleganz und Schönheit versprühen.“
Starsein das bedeutet für Jonathan Tetelman, und da kommt er ein wenig ins Grübeln, eben nicht nur eine großartige Stimme und eine wunderbare Musikalität – Aura auf der Bühne, durch Aussehen oder Schauspiel, ist ihm ebenso wichtig. Und als dritten Aspekt nennt er ganz eindeutig den Drang, immer das Beste aus sich herauszuholen. Nie zufrieden zu sein, sich nicht zu überfordern, die Balance der Ambition zu finden und zu halten.

Neu erschienen:

The Great Puccini

Jonathan Tetelman, PKF - Prague Philharmonia, Carlo Rizzi

DG/Universal

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Puccini-Fieber

Jonathan Tetelmans Puccini-Parcours 2023/24 beginnt mit dem Pinkerton in „Madama Butterfly“. Den singt er am 10., 15. und 21. September an der Deutschen Oper Berlin, am 16., 18., 21. und 23. Februar am Teatro Massimo in Palermo, in New York am 26. und 30. April sowie am 4., 7., und 11. Mai; im Sommer ebenfalls in Macerata. Ein neues „Il trittico“ mit ihm
als Luigi steht ebenfalls an der Deutschen Oper Berlin am 30. September, 2., 6., 8., 13. und 17. Oktober an, „La bohème“ in Dortmund am 10. Dezember; in New York ist er als Ruggero in „La rondine“ am 26. und 30. März, am 2., 5., 9., 13., 16. und 20. April zu erleben. Immerhin gibt es zwischendurch am 24. und 26. November auch in Baden-Baden einen neuen Massenet-„Werther“.

Manuel Brug, 16.09.2023, RONDO Ausgabe 4 / 2023



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