home

N° 1355
27.04. - 03.05.2024

nächste Aktualisierung
am 04.05.2024



Startseite · Oper & Konzert · Fanfare

Gounods „Roméo et Juliette“ am Opernhaus Zürich (hier: Fuchs, Moore, Chor) (c) Herwig Prammer

Fanfare

Proben, Pleiten und Premieren

Höhepunkte in Oper und Konzert

Auf ins Vokalmekka des Opernhaus Zürich! In der Schweiz küssten sich Julie Fuchs und Benjamin Bernheim als Star-Crossed Lovers in der Gounod-Variante „Roméo et Juliette“ durch die Prom Night. Nüchtern aufgeräumt, aber traumschön gesungen, wie es sich für diesen charmanten, auf vier Duette sich fokussierenden Schmachtfetzen gehört. Der Regisseur Ted Huffman geht ohne große Gefühligkeit vor und lässt doch in einem leeren Kasten, dessen Rückwand sich unbarmherzig vorschiebt, echte Emotion entstehen.
Bei Benjamin Bernheim begeistert sein metallischer Kern in der Stimme, den er fein durch alle Register zu verblenden versteht. Das gibt ihm juvenile Dringlichkeit, auch wissende Naivität, die stets weich sich rundet. Julie Fuchs’ heller Sopran klingt reifer, sie kann ihn fokussieren, dann wieder im unbekümmerten Liebeswollen anschwellen lassen. Beide machen sie gute Figur, sind in jeder Sekunde glaubwürdig bei sich – derzeit noch nachzusehen auf arte/Concert.

Wir fahren mit dem Zug durch den Bernhard-Tunnel: In Mailand wird Donizettis „Lucia di Lammermoor“ unter dem liebevollen Riccardo Chailly auch musikalisch zur schottischen Sinfonie mit betörendem Hörnerklang. Mit natürlichen Crescendi wie Diminuendi, feinen Rubati und trotzdem als natürlicher Musiktheater-Fluss. Zu vernachlässigen die Nicht-Regie des aus der Zeit gefallenen Dekorationsgriechen Yannis Kokkos. Dafür arbeitet Chailly mustergültig die durch verschiedenste Gefühlsregungen strukturierten Klangarchitektur­abschnitte heraus.
Lisette Oropesa dämmert sich aufmerksam-genau zur Glasharmonika-Begleitung in den süßen Wahnsinn, setzt Koloraturen, Stakkati und Fiorituren menschlich, nicht als Maschine. Und bleibt süßes Mördermädchen wie hinter einem Sfumato-Schleier, ist kein heulendes MeToo-Opfer. Juan Diego Flórez steht im gereiften Alter der Enrico immer besser. Die hohen Noten kommen nach wie vor mit links, aber er hat gelernt, nicht mehr zu pressen, sich auf die betörende Betroffenheit auch seiner leisen, aber intensiven Spitzen zu verlassen. Che bellezza!

Stippvisite in Wien: Da gibt es ein starkes Stück, wirksam inszeniert: Mieczysław Weinbergs letzte Oper „Der Idiot“ im Theater an der Wien. Dieser Dreiakter wurde erst 2013 in Mannheim uraufgeführt. Und neuerlich gelang der Beweis: Das ist eine der bedeutendsten Opern des 20. Jahrhunderts.
Schon Fjodor Dostojewski zeichnet in seinem Roman ein abstoßendes Bild der de­struk­tiven Gesellschaft seiner Zeit. Ein Bild, das Weinberg, als jüdischer Pole vor den Nazis geflüchtet, auch bei den Russen mit künstlerischen Restriktionen bedacht, intensiviert – und den 1000-Seiten-Wälzer auf zwei Liebesdreiecke konzentriert. Der Pfad des Fürsten Myschkin, des „Idioten“, der als eine Art Don Quichotte aus seinem Schweizer Epilepsiesanatorium nach Petersburg zurückkehrt und sich zwischen Lebedame Nastassja und Generalstochter Aglaja verliert, offenbart sich als düsterer Kreuzweg, den empathielos heutige Gestalten säumen.
Weinberg, schon aus Überlebensgründen ein versierter Filmkomponist, hüllt seinen Myschkin in einen präzise orchestrierten, stimmungsvollen Instrumental-Erzählstrom, der mit Leitmotiven arbeitet. Thomas Sanderling, der bereits die Uraufführung dirigiert hat, weiß am Pult des ORF Radio-Symphonieorchesters Wien, wie er Spannung formen, Aufmerksamkeit erhalten muss.
Auf der Bühne dreht sich ein altmodischer Eisenbahnwagon. Hinter seinen Fenstern sitzt das Opernpersonal zusammen: Symbol für eine heimatlose Gesellschaft in einem riesigen Land, die doch nur fatal aufeinanderklebt. Damit ist Vasily Barkhatov eine starke Regiemetapher gelungen. Wie schon 2013 stapft der intensive Tenor Dmitry Golovin als sanftmütiger Blonder durch diese Abgründe. Ein heilloses Panorama, heilsam vorgeführt.

Manuel Brug, 27.05.2023, RONDO Ausgabe 3 / 2023



Kommentare

Kommentar posten

Für diesen Artikel gibt es noch keine Kommentare.


Das könnte Sie auch interessieren

Testgelände

Friedrich Gulda zum 85.

zum Artikel

Boulevard

Williams’ Welten in Klangperfektion

Ein Schuss Jazz, eine Prise Film, ein Löffel Leichtigkeit: Bunte Klassik

Man ist ja gewohnt, dass runde Geburtstage großer Komponisten immer schon im Jahr davor ihre […]
zum Artikel

Hausbesuch

Berliner Philharmonie

Der helle Klang

Vor 50 Jahren wurde der Scharoun-Bau eingeweiht. Ein Blick mit Tonmeister Christoph Franke hinter […]
zum Artikel


CD zum Sonntag

Ihre Wochenempfehlung der RONDO-Redaktion

Externer Inhalt - Spotify

An dieser Stelle finden Sie Inhalte eines Drittanbieters, die Sie mit einem Klick anzeigen lassen können.

Mit dem Laden des Audioplayers können personenbezogene Daten an den Dienst Spotify übermittelt werden. Mehr Informationen finden Sie in unseren Datenschutzbestimmungen.

Das Klavierquartett c-Moll des 19-jährigen Strauss war ein Geniestreich, der sofort als solcher erkannt wurde. Komponiert 1883/84, zwischen der ersten Sinfonie und der „Burleske“ für Klavier und Orchester, gilt es als Höhepunkt der Auseinandersetzung mit Brahms und den Formen der klassisch-romantischen Instrumentalmusik.

Aus einer viel späteren Schaffensphase, nämlich den letzten Kriegsmonaten 1945, stammen die „Metamorphosen für 23 Solostreicher“. Zu jener Zeit arbeitete […] mehr


Abo

Top