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N° 1354
20.04. - 01.05.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



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(c) Schneider Fotography

Miriam Feuersinger

Beglückender Ausnahmezustand

Persönlichkeitsbildung mit Bach: Die Sopranistin wusste schon früh, wo ihr Sängerleben wahre Erfüllung findet.

Einschränkung? „Oh, nein! Für mich war diese Entscheidung bereits damals eine große Befreiung!“ Voller Temperament kontert Miriam Feuersinger die spitze Frage, die dunklen Augen leuchten und das warme Lachen ihrer glockenhellen Stimme signalisiert: Hier ist ein Mensch mit sich im Reinen – „mein Glaube ist geprägt durch die Musik und hat sich im Laufe der Zeit entwickelt, nicht zuletzt durch die psychologische Beschäftigung: Was verändert es in unserer Sicht auf das Leben, wenn wir Gott einbeziehen?“
Die österreichische Sopranistin hatte sich schon 2005 unmittelbar nach ihrem Studium entschieden, ihre sängerische Zukunft allein der geistlichen Musik des Barocks zu widmen: „Ich mochte es, auch Opern zu singen und habe Spaß am Spielen, doch danach war ich immer leer und ausgebrannt“, erinnert sich die gebürtige Vorarlbergerin. Anders bei ihren Auftritten mit Bach: „Das ist wie eine philosophische Beschäftigung, ich bekomme etwas zurück und bin bei diesen Konzerten wie im Ausnahmezustand.“
Ohne dass die 43-Jährige über dieses Glücksgefühl nun die Bodenhaftung verlöre: Dafür ist die gläubige Christin viel zu erd- und naturverbunden – „Gerade in den ersten Corona-Monaten, als ich erstmals Depressionen in meinem Leben wahrnahm, habe ich jeden Tag einen Spaziergang am Bodensee oder zum Bregenzer Hausberg unternommen“ – und hat schon immer in dem Bewusstsein gelebt, dass ihr hiesiges Dasein endlich ist. Was jenseits aller philosophischen Gedanken vielleicht auch gar nicht so überrascht, da die kleine Miriam bereits als Achtjährige in ihrer Kirche zur Kinderkantorin berufen wurde und fortan die Aufgabe hatte, von der Liebe zu Gott zu künden. Und dabei ihre (Lebens-)Liebe zur geistlichen Barockmusik und vor allem zu Bach entdeckte: „Da ist so viel Temperament und Tiefe in seinen Werken, es bleibt immer spannend und wird nie langweilig – anders als Händels Musik, die viel schneller verdaut ist“, kokettiert Feuersinger und muss über ihren eigenen Vollkornbrot-Vergleich für Bachs Klänge schmunzeln.
Kein Wunder, dass denn auch des Leipziger Thomaskantors Sopran-Fassung von „Ich habe genug“ derzeit ihre „Leib- und Magen-Kantate“ ist, zumal sie diese mit zwei weiteren Kantaten und dem Basler Capricornus Consort gerade für ihr neues Album aufgenommen hat: voller Klarheit und Anmut, perfekt geführt die Stimme und beinahe transzendental im Gesang. Und, nein, dieser Kantaten-Titel ist kein bissiger Seitenhieb auf die hiesigen Corona-Politik-Dilettanten, sondern offenbart für die Sängerin das Vertrauen in die Wiederkehr unseres glücklichen Lebens. Sie selbst hat denn den zeitweisen beruflichen Lockdown auch genutzt, um die Webseite für ihr als Hobby betriebenes Geschäft mit ätherischen Ölen zu perfektionieren und ihre „Vokalwerkstatt M31“ zu eröffnen: Ein „Raum für Persönlichkeit und Stimme“, der ihrer individualpsychologischen Ausbildung entsprungen ist. Durch sie konnte Feuersinger vor einem Jahrzehnt parallel als Coach und psychologische Beraterin arbeiten, eine Tätigkeit, die nun in Stimmcoaching, Beratungen und Salongesprächen ihre Fortsetzung erfährt. Wie könnte es auch anders sein bei einer Musik, die alles andere als Reduktion ist!

Neu erschienen:

Bach

„Ich bin vergnügt“, Kantaten BWV 51, 82 und 84

Feuersinger, Capricornus Consort Basel, Barczi

Christophorus/Note 1

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Christoph Forsthoff, 12.02.2022, RONDO Ausgabe 1 / 2022



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