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(c) Marco Borggreve
Klar, geradlinig, leuchtend, metrisch ruhig dahinlaufend und auf einem Atem schwebend, als breiter Bogen vom Anfang bis zum schnellen Ende. So klingt an diesem lauen Abend unter andalusischem Vollmond ab dem ersten, dezenten Paukenschlag die einsätzige, von nordischer Weite tönende 7. Sinfonie von Jean Sibelius. Und auch seine lyrisch wasserklare 6. Sinfonie erfährt eine ähnlich inspirierte, wache, sorgfältige, nie überinterpretierende Wiedergabe durch das Mahler Chamber Orchestra unter dem jungen Finnen Klaus Mäkelä.
Finnische Musik zur Nacht in spanischen Gärten. Das ist in der Freiluftfestspielzeit kein Widerspruch. Klaus Mäkelä hatte beim Granada Festival, das ohnehin eine schnelle Nase für Talente beweist, im letzten Sommer eine Residenz mit drei Konzerten und drei Orchestern. Gelegenheit also, einen der garantiert relevantesten Dirigenten der nächsten Klassikjahre intensiver kennenzulernen.
Mäkelä, von schlanker Erscheinung, tritt gern mit Anzug und passendem – sauber gefalteten, nicht gepuschelten – Einstecktuch auf; nur in Oslo trägt er Smoking. Mit ausdrucksvoller, elastischer, aber kontrolliert fuchtelfreier Gestik geht er an den Pultstart. Gerade mal 26 Jahre alt ist der ausgebildete und noch gelegentlich aktive Cellist; einer der letzten Schüler des legendären Lehrers Jorma Panula, inzwischen 91.
Bei den Mäkeläs liegt die Musik in den Genen. Sein Vater ist Cellist, seine Mutter Pianistin. Sein Großvater ist Geiger und Bratscher, seine Schwester tanzt im finnischen Nationalballett. Da weiß man offenbar schon mit zwölf Jahren, dass man Dirigent werden möchte…und nach einer kurzen Solokarriere als Cellist verfolgt er ebendiese international seit 2019.
Bereits seit Herbst 2020 ist Klaus Mäkelä Chef der Osloer Philharmoniker, im Herbst 2021 hat er zudem – ein Jahr früher als vereinbart – das Orchestre de Paris übernommen. Gerade Franzosen gelten als schwierig. Muss das jetzt schon sein? So mag man fragen und an so manches, früh überforderte, dann rasch verglühte Pulttalent denken. Bei ihm, der sich in jedem Gespräch als wacher, enthusiastischer, leidenschaftlicher, aber auch fokussierter Partner erweist, möchte man unbedingt „Ja“ sagen.
So einer wie er, der muss jetzt spielen dürfen, braucht ein kontinuierliches Orchester zum Üben und Reifen. Denn er hat schon erstaunlich viel zu geben und zu sagen. Mag er auch auf Fotos etwas blässlich dreinschauen, doch seine blauen Augen, auf dem aktuellen Album-Cover stark bearbeitet zum Stechen gebracht, sie leuchten schnell. Und er selbst erweist sich als kluge, sympathische Mischung aus Nerd, Könner und Kind. Der weiß sehr genau, was für kostbare Instrumente er da gegenwärtig zur Handhabung überlassen bekommen hat, er weiß sie aber auch bereits erstaunlich virtuos und mit einem frühvollendet eklektischen Geschmack zu bedienen. So passt er sich in einem Mozart-Konzert ganz anders dem gerne abenteuerlustigen Igor Levit an wie auch dem eher behäbigen Spanier Javier Perianes.
Während Corona kamen ihm zwar die sorgsam aufgebauten Pläne für diese wichtigen Pionierjahre einer möglichst langewährenden Dirigierkarriere abhanden, doch viel schönere, spontanere kamen hinzu. Überraschungsdebüts etwa beim Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin, wie auch in Granada mit dem MCO, wo die erste Begegnung erst drei Jahre später geplant war. Und schon nächste Saison steht sein Debüt bei den Berliner Philharmonikern an.
Doch am nachhaltigsten war womöglich während der Pandemie das Zusammentreffen mit dem Concertgebouw-Orchester Amsterdam, dem bereits in kürzester Zeit weitere folgten. Weil die Elitetruppe gegenwärtig keinen Chef hat, wird da jetzt natürlich schon wild spekuliert. Doch Mäkelä sagt ganz klar: „Ich lasse meine gegenwärtigen Orchester nicht im Stich, mit denen möchte ich ja jetzt langsam auch mal normale Spielzeiten erleben. Außerdem wäre das viel zu früh.“
Hoffentlich hält Klaus Mäkelä das durch, denn gerade enthüllt sich der nächste PR-Coup. 2021 hat ihn die Decca exklusiv engagiert, es ist ihr erster Dirigentenvertrag seit 40 Jahre – den letzten bekam dort Riccardo Chailly.
Mit mehr Vorschusslorbeer wurde schon lange kein Dirigent mehr aufgebaut. Daniel Harding (46) hat bis heute die Erwartungen von früher nicht erfüllt und fliegt jetzt lieber Langstreckenjumbos für die Air France. Andris Nelsons ist früh gealtert, wirkt bereits gesättigt. Auch Gustavo Dudamel (41) ist nicht nur optisch grau geworden. Lionel Bringuier muss sich nach wie vor von der Schlappe mit dem Zürcher Tonhalle-Orchester erholen. Philippe Jordan (47) stagniert auf hohem Niveau. Auch der Pole Krzysztof Urbański (39) müsste langsam mal einen entscheidenden Schritt voran tun.
Lustigerweise ähnlich spannend, aber menschlich ein wenig unkonventioneller als Klaus Mäkelä, ist der 36-jährige Finne Santtu-Matias Rouvali, der gar nicht weit weg von Oslo in Göteborg das dortige Sinfonieorchester führt – und der mit diesem Ensemble gegenwärtig ebenfalls einen Sibelius-Zyklus für das Label Alpha einspielt. Aber in Einzelalben, während die Decca mit Klaus Mäkelä gleich mit einem Paukenschlag startet – und so veröffentlich sie dieser Tage gleich auf vier CDs alle sieben Sinfonien, drei Fragmente und die späte sinfonische Dichtung Tapiola, die er als musikalische Einheit sieht.
Was für eine Hypothek! Nicht gerade auch für einen Finnen? Klaus Mäkelä lächelt das authentisch angstfrei weg mit der Chuzpe der Jugend. Die bei ihm nie leichtfertig oder überheblich wirkt, immer nur freudig ob all der sich bietenden Chancen, ein bisschen augenzwinkernd naseweiß, voll Enthusiasmus. Da dirigiert keiner mit der Naivität des Anfängers, Klaus Mäkelä kann sehr zielstrebig und ausgebufft sein. Das wiederum gestattet ihm eine lässige Entspanntheit im Konzert.
Und auch für diesen Sibelius hat die Pandemie ihm zugearbeitet. Denn mit seinen Parisern wurden schon in der Saison 20/21 aus zwei gar sieben Arbeitswochen. Und im Frühling 2021 hatte er, auch wenn es organisatorisch mit Quarantäne und Abständen zunächst schwer zu koordinieren war, ein weit konzentrierterer, längerer Aufnahmeprozess mit den Osloern in zwei Tranchen. Die durcheinandergewirbelten Terminpläne erlaubten mehr Zeit und Versenkung vor den Mikrofonen.
Jetzt schon sich diesem Kosmos widmen? Was kommt dann noch? „Viel“, sagt Mäkelä verschmitzt, der natürlich vom System Panula profitiert hat, wo man auch als ganz junger Anfänger schon vor einem Orchester stehen darf, mit und durch es zu kommunizieren lernt. „Ich habe schon einige Jahre Sibelius-Praxis als Spieler wie Dirigent. Da war es durchaus eine natürliche Wahl. Darin war ich mir mit den norwegischen Musikern sehr einig, die Sibelius natürlich kennen, aber schon lange keinen Zyklus mehr gespielt haben. So war es für alle eine komplette Annäherung. Für die wir glücklicherweise viel Zeit hatten.“
Decca/Universal
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Johan „Jean“ Sibelius (1865-1957) hat als finnischer Komponist am Übergang von der Spätromantik zur Moderne nach wie vor am Gipfelwerk der Sinfonie festgehalten. Sieben davon hat er über 30 Jahre hinweg konzipiert, von Schaffenskrisen zunehmend geschüttelt, in denen er, anfangs noch von Spätromantik und finnischer Volksmusik beeinflusst, zu seinem eigenen orchestralen Stil findet. Dieser Stil zeichnet sich durch vorherrschende Transparenz trotz hoher musikalischer Dichte, Schroffheit, eigenwillige Rhythmik und melodisches Pathos aus. Eine 8. Sinfonie vernichtete er, nur Fragmente haben sich davon erhalten; am ehesten kann das Spätwerk Tapiola sein sinfonisches Schaffen abrunden.
Matthias Siehler, 26.03.2022, RONDO Ausgabe 2 / 2022
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