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N° 1298
25. - 31.03.2023

nächste Aktualisierung
am 01.04.2023



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(c) Klaus Gigga

30 Jahre später

Dresden, Semperoper: Beethovens „Fidelio“

„Sprecht leise! Haltet euch zurück! / Wir sind belauscht mit Ohr und Blick,“ heißt es in Beethovens „Fidelio“. Wo waren die Stasi-Herren, als die Dresdner Semperoper, nicht eben als Hort der Subversion geführt, für den 7. Oktober 1989, also für den 40. Jahrestag der Staatsgründung der DDR, ausgerechnet dieses Werk als Premiere angesetzt hatte?
Selbst 30 Jahre später spürt man noch die hellsichtige Spannung von damals. Die Inszenierung wird zum 138. Mal gegeben – als Festaufführung zum dann einen Monat später folgenden Mauerfall. SED-Bezirksleiter Hans Modrow schaute erstaunt in die Originalregieanweisungen, als ihm zu Ohren gekommen war, dass sich im Sangestempel was zusammenbraute. „Aha, ein Gefängnis. Ach ja, na dann machen Sie mal weiter“, so erzählt es Christine Mielitz, die Regisseurin.
In einem Bühnenbild mit Mauerngeviert, mit Wachturm, denen nicht unähnlich, die Berlin zerteilten. Mielitz zeigt eine kittelschürzige Marzelline, die sich im Gefängnisgrauen idyllisch eingerichtet hat und die Pakete für die Gefangenen kontrolliert. Sie merkt nicht die Ungeheuerlichkeit ihres Tuns, so wie ihr Vater Rocco (Bass-Duckmäuser: Georg Zeppenfeld).
Das alles in einem DDR-Büro! Jeder verstand, was gemeint war, sah in dem Urteile abzeichnenden Gouverneur Pizarro die Schreibtischtäter vor Ort. Freilich lässt Mielitz Unterdrücker und Unterdrückte im gleichen grauen Mantel auftreten: Sie sind aus demselben Politbüro. Am Ende kommt Florestan frei (Klaus Florian Vogt mit Tenorkraft), was passiert mit den andern? Mielitz lässt sie gegen den Zaun rennen. Da stehen sie noch heute, der Atem stockt, und John Fiore dirigiert zackig die letzten Akkorde.
Heute saß Joachim Gauck in der Mittelbox. „Der Kerker eine Gruft“, aus der man sich auch mit Hilfe der Kunst befreite, das ist der Ausgangsgedanke seiner Rede: „Kunst und Wirklichkeit kommen sich selten so nahe wie an diesem Abend vor über 30 Jahren.“ Dann appelliert er an die Menschen in diesem sehr veränderten Land: „Sie können zu den Herren ihrer Geschichte werden.“

Matthias Siehler, 07.12.2019, RONDO Ausgabe 6 / 2019



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