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Jordi Savall (c) Molina Visuals
Dass der Seltenheitswert allein nicht als Verkaufsargument ausreicht, bekam der katalanische Gambist und Ensemblegründer Jordi Savall früh zu spüren, wenn es darum ging, Produzenten Aufnahmeprojekte schmackhaft zu machen: „Ich habe schon in den Siebzigern begonnen, Aufnahmen für große Labels zu machen. Doch irgendwann wurde es bei den Gesprächen mit der Zeit immer schwieriger, über die Qualität der Musik zu diskutieren. Oft hieß es da, ein Projekt wäre zwar interessant, aber wahrscheinlich nicht kommerziell genug, um zumindest die Produktionskosten zu decken. Und da habe ich mich irgendwann gefragt, warum machen wir es nicht einfach selber?“
Ein mutiger Schritt zweifellos, doch das Wagnis hat sich gelohnt. Zwanzig Jahre nach der Gründung hat der Name von Savalls Label Alia Vox nicht nur bei Fans der Alten Musik einen überaus guten Klang. Davon legen zahlreiche preisgekrönte Aufnahmen Zeugnis ab, von denen ein Großteil bis heute in Fachkreisen als Referenzeinspielungen gehandelt wird. Mit dem von ihm gegründeten Ensemble Hespèrion XXI und der Capella Reial standen ihm zwei renommierte Klangkörper zur Verfügung, die neben ihm selbst zu den wichtigsten Aushängeschildern von Alia Vox zählen.
„Sicher war das zunächst ein Risiko. Aber im Grunde hatte ich auch zuvor schon lange die Produktion meiner CDs übernommen. Vom Editieren des Materials über die Auswahl der Fotos und Texte fürs Booklet. Und natürlich die Diskussionen mit den Tonmeistern, wie man klanglich das bestmögliche Ergebnis erzielt. All diese Aspekte kannte ich also schon.“ Beruhigend war ebenfalls, dass er nach der Gründung seines eigenen Labels mit den Kollegen von Naïve und harmonia mundi erfahrene Partner für den weltweiten Vertrieb im Rücken hatte.
Zwanzig Jahre später fiebern Fans gespannt der nächsten Veröffentlichung entgegen. Denn ein Album von Jordi Savall ist ein aufwendiges Gesamtkunstwerk. Angefangen von der schmucken, buchartigen Aufmachung bis hin zu den fundierten recherchierten Einführungstexten, Komponistenporträts und Hintergrundartikeln in bis zu sechs verschiedenen Sprachen, welche die Booklets auf teilweise über 200 Seiten anwachsen lassen.
In Zeiten, in denen Downloads auch im klassischen Sektor auf dem Vormarsch sind, steuern Savall und seine Mitstreiter bewusst gegen den aktuellen Trend. „Das einzige, was uns vor dem Internet retten kann, ist, dass wir Editionen machen, die dem Hörer mehr bieten als nur Musik. Wichtig ist vor allem, dass immer eine Idee dahintersteht. Ein Album wie ‚Routes de l’esclavage‘ hätte zum Beispiel nur eine Sammlung schöner Stücke sein können. Aber durch das begleitende Buch über die Geschichte der Sklaven und ihrer Musik bekommt es noch einmal eine ganz andere Bedeutung.“
Doch das von Savall immer wieder verteidigte Prinzip der nachhaltigen Planung greift noch tiefer. Dass eine Aufnahme wegen mangelnder Umsatzzahlen aus dem Alia Vox-Katalog verschwinden würde, ist für ihn undenkbar. „Natürlich gibt es auch bei uns Dinge, von denen man schnell viel verkauft, aber Klassik funktioniert langfristig. Manchmal müssen die Menschen etwas erst allmählich entdecken.“ Kunst rein kommerziell zu bewerten, wäre für den Überzeugungstäter Savall der falsche Weg – als würde der Pariser Louvre einzig die Mona Lisa ausstellen und seinen restlichen Bestand in den Archiven verstauben lassen. „Wir Musiker sind so etwas wie ein lebendiges Museum. Denn ohne uns wäre die Musik der Vergangenheit heute nicht mehr hörbar.“
Wobei er keinen Unterschied zwischen seinen Ausgrabungen und populäreren Werken macht. So steht neben der Auseinandersetzung mit den Oratorien Bachs demnächst etwa auch ein groß angelegter Beethoven-Zyklus an. Herzstück der Arbeit von Alia Vox bleiben dennoch auch in Zukunft die musikalischen Entdeckungsreisen, bei denen Jordi Savall und Co. unterschiedlichsten musikalischen und kulturellen Identitäten nachspüren. Projekte, die heute aktueller und dringender denn je erscheinen. So wie das einst Maßstäbe setzende „Jerusalem“-Projekt. „Für mich war es wichtig, damit zu zeigen, dass jede Religion ihren Platz hat. Frieden ist nur möglich, wenn wir Respekt voreinander haben und miteinander auf Augenhöhe reden. Und das ist mit Musik oft einfacher zu erreichen als mit Worten. Das größte Problem heute ist für mich die Ignoranz. Wenn man Argumenten glaubt, ohne sie zu hinterfragen. Denn Fanatismus lässt sich nur mit Bildung bekämpfen. Dazu wollen auch wir unseren kleinen Teil beitragen. Ich denke, dass unsere CD-Bücher ein Fenster in eine andere Welt öffnen und einen Ausgangspunkt geben können, um Dinge aus neuen Perspektiven zu betrachten.“
Alia Vox/hm
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Tobias Hell, 22.09.2018, RONDO Ausgabe 4 / 2018
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