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(c) Simon Fowler/Warner
Im Jahr 2016, da gab es einen besonderen 300. Geburtstag in der Musikwelt. Denn wie jedes Jahr beging der französische Geiger Renaud Capuçon seinen Jubeltag gemeinsam mit dem von Wolfgang Amadeus Mozart. Während Capuçon an diesem 27. Januar 40 Jahre alt wurde, hätte Mozart den 260. zelebrieren können. Eigentlich hätte man sich an einem solchen Tag frei nehmen müssen. Capuçon freilich, der Fleißige, arbeitete. Er spielte das Violinkonzert seines Landsmanns Henri Dutilleux bei der Salzburger Mozartwoche. Hier ist er Stammgast, „bei dem Festival, wo die wirklichen Musikliebhaber kommen“, schnalzt er genießerisch.
Weit über 20 Jahre ist der im savoyischen Chambéry Geborene inzwischen im Geschäft – ohne Ermüdungserscheinungen, ohne Krise und Auszeit, mit über 30 makellosen CDs, alle beim selben Stammlabel. „Ja ich habe es offenbar gut ausbalanciert“, sagt Capuçon, „mir hat sehr geholfen, dass ich mir anfangs einen Namen als Kammermusiker machen konnte. Ich war weder Wunderkind noch Strahlevirtuose und ich trug kein enges Kleidchen.“ Eine kleine Spitze gegen die zu seiner Jugendzeit modischen Geigengirlies, zwischen denen er sich, zehn Jahre jünger als sein deutsches Vorbild Frank Peter Zimmermann, im Gefolge von Anne-Sophie Mutter behaupten musste. „Und wenn ich mir erklären soll, warum ich unbeschadet im Klassikzirkus meine Runden drehe, dann brauche ich nur meinen Vater anzusehen. Der will sich immer mit was beschäftigen, der rastet nie.“
Doch der ohne musischen Hintergrund aufgewachsene Renaud Capuçon, der einst bei Claudio Abbado im Gustav-Mahler-Jugendorchester als Konzertmeister saß und sich stets noch gern an sein Idol erinnert, weiß sich inzwischen zu beschränken: 80 Konzerte im Jahr, im Augenblick wieder mit einem Schwerpunkt auf Amerika und den deutschsprachigen Ländern, mehr gibt er nicht. Nur höchstens 12 Tage will er, der seit 2009 mit einer TV-Journalistin verheiratet ist („die in Frankreich viel bekannter ist als ich“) und gemeinsam einen fünfjährigen Sohn hat, nie von zu Hause weg sein. Als Kammermusiker arbeitet er gern mit ehemaligen Kommilitonen wie Nicholas Angelich, mit Hélène Grimaud oder auch mit seinem jüngeren Bruder, dem Cellisten Gautier Capuçon. Dieses Band ist über die Jahre lockerer geworden – sehr eng ist es hingegen immer noch mit „Ersatzmama“ Martha Argerich.
Kürzlich hat er, der seine von Isaac Stern übernommene Guarneri del Gesù-Violine „Panette“ von 1737 mit einem singenden, immer leicht spröde-intensiven Ton zu spielen pflegt, „meine beiden Kinderkonzerte“ aufgenommen, die „Symphonie espagnole“ von Éduard Lalo und Max Bruchs 1. Violinkonzert. Im Gegensatz dazu enthält sein jüngstes Album Uraufführungen von Werken, die Pascal Dusapin und Wolfgang Rihm ihm widmeten, sowie von Bruno Mantovani als Weltersteinspielung. Denn Capuçon spielt auch viel Moderne.
Zwei Projekte liegen dem Violinisten, der seit 2014 auch eine Professur in Lausanne hat, gegenwärtig besonders am Herzen: die Wiederentdeckung von Adolf Busch (1891 – 1952) als Geiger, Quartett- Primarius, Dirigent, Orchesterleiter und Komponist. Ihm huldigt er mit einem eigens gegründeten Quartett junger Pariser Mitmusiker, das weltweit über drei Spielzeiten sechs um die späten Beethoven-Quartette geklammerte Programme aufführen wird. Ja, er hat sogar veranlasst, dass bei seinem Hauslabel eine hervorragende CD-Box mit dem gesammelten tönenden Busch-Erbe wiederaufgelegt wurde.
Und dann ist da auch noch sein eigenes Musikfest: einfach nur „Osterfestival“ genannt, im (meist) von der Frühlingssonne durchleuchteten Aix-en-Provence – unter generösen Bedingungen, mit Freunden, zehn Tage lang. Apropos Festivals: Renaud Capuçon nimmt gern an ihnen teil, besonders aber an den persönlichen, von Instrumentalisten geführten, wie er sie seit seinem 15. Lebensjahr auch selbst leitet. Zunächst versammelte er an seinem Heimatort Chambéry von 1996 bis 2010 mit Bruder Gautier seine Freunde im September. Dann belebte er für einige Jahre das einst von Karajan angelegte Winterfestival in St. Moritz neu und führt seit 2016 nun für eine Winterwoche die „Les Sommets Musicaux“ de Gstaad.
Warner
Gute Beziehungen haben im Musikgeschäft keinem geschadet. Man sieht das in Aix, wo Renaud Capuçon seit 2013 zwei Wochen um Ostern herum eine erlesene Schar von Kammermusikern und keineswegs nur Tourneeprogramme abspulenden Orchestern versammelt, vorwiegend im Grand Théâtre de Provence, aber auch im Dom und im intimen Théâtre Jeu de Paume. Dieses Jahr sind von 10.-23. April John Eliot Gardiner mit dem Auftakt seines weltweiten Monteverdi-Projekts, András Schiff, Philippe Herreweghe mit der Matthäus-Passion, Maxim Vengerov, Christoph Eschenbach, Gianandrea Noseda, Khatia Buniatishvili, Marc Minkowski, Jakub Hrůša, das Belcea Quartet, Myung-Whun Chung und Charles Dutoit zu erleben. www.festivalpaques.com
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