Music & Arts/Note 11065
(1939 - 1950) 4 CDs
Gelegentlich fragt man sich, wenn wieder mal ein Tondokument durch den Spieler rauscht, oder wenn das Rauschen digital so unterdrückt wird, dass ein Orchesterkonzert klingt, als höre man es vor den Türen des Konzertsaals, weil man zu spät gekommen ist, ob diese oder jene historische Aufnahme einer bekannten Sinfonie irgendeinen Wert hätte außerhalb der, nun: eben Historie. Ob man sich die "Pastorale" nicht doch lieber mit Bernstein kauft als mit Weingartner aus den dreißiger Jahren. Diese Überlegungen, zeiht man sich sofort, sind die pure Denkmalschändung, aber sie lassen einen nicht los.
Um so erstaunter darf man berichten, dass diese historischen Tondokumente von Hermann Abendroth einige wirklich elektrisierende Interpretationen bündeln - die mickrige Aufnahmequalität also ohne weiteres in Kauf zu nehmen ist, weil manches eben Modellcharakter hat. Zum Beispiel Wagners "Faust"-Ouvertüre: So bei aller gebotenen Tempi-Unschärfe gezielt, so sehnig und üppig zugleich ist sie selten zu hören. Auch prangt auf ihr der Stempel höchster Authentizität: Abendroth war ein Schüler von Felix Mottl, einem der besten Wagner-Freunde-und-Interpreten.
Auch die "Eroica" oder die Vierte Brahms oder das vierte Beethoven-Klavierkonzert (mit Wilhelm Kempff) haben diese Stichflamme, die immer wieder markante "Stellen" entzündet, aber am Ende haben diese "Stellen" doch zu einem Ganzen sich gefügt, das wärmt. Spielt gar keine Rolle, welches Orchester (einmal sind es sogar die Berliner Philharmoniker) - Abendroths quecksilbriges Temperament bei größter Akkuratesse kommt immer durch. Er hat viel Ähnlichkeit mit Furtwängler, scheint aber der schlagtechnisch Versiertere gewesen zu sein.
Da tut’s dann auch nichts, wenn der Tenor im Finalsatz der Beethoven-Neunten auf einem grottenfalschen Ton einsetzt, oder wenn die Pauke bei Brahms mal zu früh kommt. Das passiert in jedem guten Konzert, und das sind diese Aufnahmen ja meist auch: mitgeschnittene Konzerte. Kaum Klangbearbeitung, und wo doch, merkt man’s auch deutlich.
Nein, diese CD-Kassette stellt uns einen wahrhaft Großen vor, in der DDR und im ganzen Ostblock so gefeiert wie in Deutschland vor dem und während des Krieges, im Nachkriegs-Westen aber kaum noch bekannt. Und es ist denn eine plausible Entscheidung, sich die "Eroica" von Abendroth zu kaufen statt von Barenboim. Auch wenn der Klang beider Aufnahmen zueinander sich verhält etwa wie Hummelflug zu Mondlandung.
Thomas Rübenacker, 09.11.2000
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