Capriccio/Delta Music 67 067
(60 Min., 2/2002) 1 CD
Berühmt und berüchtigt ist Domenico Scarlatti für den Musikfreund hauptsächlich durch seine 555 (!) Cembalo-Sonaten. "Diejenigen", schrieb der Zeitgenosse Charles Burney, "die mit den originellen und fröhlichen Launen dieses Komponisten in seinen Cembalo-Stücken vertraut sind, wären über die Schlichtheit und Mattigkeit seiner Lieder überrascht." Vielleicht hätte der kühle Brite sein Urteil revidiert, wenn ihm die "Cantate d'amore" zu Ohren gekommen wären, die der exzellente Countertenor Max Emanuel Cencic jetzt vorgelegt hat.
Die Texte zu den vier auf der CD versammelten Kantaten bilden einen regelrechten Briefwechsel eines getrennten Liebespaares. Delikat ist es freilich, wenn man sich vorstellt, diese musikalischen Ergüsse enttäuschter Liebe könnten für den Kastraten Farinelli komponiert worden sein, denn Scarlatti und Farinelli weilten zur Zeit der Entstehung der Kantaten beide am spanischen Hof. Für den Gebrauch als Kammermusik komponiert, verzichten diese tönenden Liebesbriefe weitgehend auf stimmliche Akrobatik und setzen mehr auf unmittelbare musikalische Affektdarstellung und ungekünstelte Artikulation.
Wie auch immer: Max Emanuel Cencic besitzt, was man für die Interpretation solcher Stücke braucht: ein stimmliches Organ von außergewöhnlicher Schönheit, mit einer Tiefe, die ohne Registerbruch in staunenswerte Tiefen reicht, eine makellose Intonation und eine ungeheure Beweglichkeit in der Stimmführung (über zwei matte Spitzentöne zu mäkeln, wäre wirklich beckmesserisch). Dazu kommt die gewisse Portion schillernder Erotik, von der selbst Mezzosopranistinnen vom Schlage einer Vivica Genaux leider nur eine Ahnung besitzen können. Wie Cencic sein "crudel, tiranna, ingrata" herausschleudert: jede Diva muss vor Neid erblassen!
Auch die Instrumentalbegleitung durch das "Ensemble Ornamente 99" fällt weitaus farbiger und mitreißender aus als auf der vor kurzem erschienen Konkurrenzaufnahme zweier "Lettere amorose" durch Alan Curtis (siehe Rezension vom 7.06.03). Dort mühen sich die Damen Patrizia Ciofi und Anna Bonitatibus redlich um musikalische Emphase. Gegen Cencics Interpretation wirken ihre Liebesbriefe doch mehr oder weniger papieren. Die Herren Scholl, Daniels und Kowalski zumindest haben - so scheint es - ernsthafte Konkurrenz bekommen.
Markus Kettner, 21.06.2003
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