Die Tenoristen Ben Webster und Dexter Gordon wurden beide an einem 27. Februar geboren. Was hatten die beiden, außer ihrer fatalen Neigung zu berauschenden Flüssigkeiten, gemeinsam? Den Versuch, einer enormen Sensibilität Herr zu werden, Zerbrechlichkeit mit “Männlichkeit” umzusetzen, Weichheit in die Zucht zu nehmen. Bei Webster offenbart es, vor allem im Frühwerk, das rauhbeinige Vibrato im wilden Parforce-Ritt. Doch seinen Ruhm verdankt er der Rückseite der Medaille, die im Alter immer mehr zur Vorderseite wurde: einer gehauchten Balladenromantik, die sich gar nicht mehr hinter der schützenden “Kerl”-Maske verstecken will.
Bei Dexter Gordon hingegen, dem ersten Bop-Tenoristen, darf man nicht der scheinbar nüchtern-trockenen Tongebung auf den Leim gehen. Hier offenbaren bloße Nuancen Empfindlichkeiten, die denen Websters kaum nachstehen. Beide treffen sich in ihrer Essentialität, spielen keinen Ton zuviel.
Trotzdem kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sie nicht gerade bestens zusammenpassen. Es ist wohl kaum Zufall, dass der bittersüße Dexter und der hartzarte Webster nur auf zwei Titeln dieser CD zusammen spielen. Wenn man Dex, der für den erkrankten Benny Carter eingesprungen war, mit “Frog” auf “Mellow Tone” hört, dann erinnert man sich, dass Coleman Hawkins und Budd Johnson 1959 mit Webster weit mehr harmonierten.
Webster verließ sich bei diesem Konzert im Schweizer Baden, kaum ein Jahr vor seinem Tod, allzusehr auf seine wirkungsvollen Standard-Phrasen. Weder Webster noch Gordon erreichten die höchsten Gipfel ihrer Kunst, doch Frog hatte “nur” einen guten Tag, Dex “nur” einen sehr guten - und das allein garantiert dem einmaligen, historischen Zusammentreffen Höchstniveau.
Marcus A. Woelfle, 30.04.1998
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