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N° 1298
25. - 31.03.2023

nächste Aktualisierung
am 01.04.2023



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Montreux '77

Benny Carter

Pablo/ZYX OJC20 374-2
(46 Min., 7/1977) 1 CD

Der fünfundneunzigjährige Benny Carter ist wohl der bedeutendste lebende Saxofonist des traditionellen Jazz. Das war vor einem Vierteljahrhundert, als dieser Mitschnitt entstand, kaum anders. Er war damals schon der große Alte des Alts, wenn nicht überhaupt als Urahn der Saxofonisten eine sonst nur mit Coleman Hawkins und Sidney Bechet vergleichbare Gestalt. 1977 hatte er weit jüngere Alt-Legenden wie Charlie Parker, Cannonball Adderley und Paul Desmond überlebt, ebenso die großen Tenoristen von Hawkins über Young bis Coltrane.
Und doch stand kein hinfälliger Schatten der Vergangenheit auf der Bühne des Jazzfestivals in Montreux, sondern ein vitaler, fantasievoll improvisierender Künstler auf der Höhe seiner Schaffenskraft. Seine Improvisationen waren immer noch das Non-Plus-Ultra melodischer Eleganz, sein Sound von betörender Milde und einschmeichelnder Raffinesse. Seine Saxofon-Ästhetik stellte eine Parallelentwicklung zum Violinspiel seines Generationsgefährten Stéphane Grappelli dar, der in jener Zeit in Europa eine ähnliche Bedeutung hatte, wie Carter in den Staaten: ohne ihre Swing-Wurzeln aufzugeben wirkten sie plötzlich zeitlos, wenn nicht gar modern. Zugleich legten sie, ohne ihr Bekenntnis zum Jazz als einer "hotten" Musik in Frage zu stellen, Zeugnis von der charmanten Seite des Jazz ab, und dies desto freundlicher und herzlicher klingend, je lauter und elektrischer die Musikwelt ums sie herum wurde.
Neben dem Drummer Jimmie Smith waren auch der Pianist Ray Bryant und der Bassist Niels-Henning Ørsted-Pedersen mit von der Partie. Das sind nicht gerade musikalische Leichtgewichte, doch sie verblassen hier neben Carter dergestalt, dass man, süchtig nach dem menschlich warmen, seelenvollen Spiel des Altisten, ihren Beitrag hauptsächlich darin sieht, Carter Atempausen zu verschaffen. Stellenweise hätte man sich für Benny Carter weniger geschäftige Begleiter gewünscht, anderseits verwundert es nicht, dass sie von der Atmosphäre geprägt sind, die Stunden vor und nach dieser Aufnahme bei den vielen gladiatorischen Jam Sessions in Montreux herrschte.
Carter hat auf anderen Alben auch als glänzender Swing-Arrangeur, Themen-Komponist, Big-Band-Leiter Großes geleistet. Doch seine Trompetenkünste sowie seine Fähigkeiten als Klarinettist und Tenorist hat er im Studio ein Leben lang hintangestellt. So wurde hier gottlob live dokumentiert, wie er immerhin zweimal auch zur Trompete griff. Da servierte er ein "In A Mellow Tone", auf das wohl auch Harry "Sweets" Edison stolz gewesen wäre, und ein "Body And Soul", dessen sich wohl auch ein Charlie Shavers nicht geschämt hätte. Da wir schon seit sechs Jahren vergeblich auf eine neues Carter-Album warten, nehmen wir diese Wiederveröffentlichung dankbar entgegen.

Marcus A. Woelfle, 07.11.2002



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