Sony 89690
(54 Min.) 1 CD
Ausgerechnet der "Spiegel" mystifizierte Murray Perahias Beschäftigung mit Bach als einen "Dialog mit Gott", stilisierte den Pianisten so zu einer Art Prophet der späteren Tage und seine Bach-Aufnahmen gradenwegs zu einem wissenschaftlichen Anhang der beiden Gesetzestafeln.
Es ist mir schleierhaft, warum man zu solch beduselten Bildern greifen muss, um eine so nüchterne, geradlinige und "aufgeklärte", wenn auch sehr schön nachempfundene Sache zu beschreiben. Hat es damit zu tun, dass Perahia, einer Handverletzung wegen, länger pausieren musste, dass es zeitweise so aussah, als könne er überhaupt nicht mehr auftreten? Hat ihn deshalb Gott "erwählt"? So verstellt man nur den Blick auf diese exakt gearbeiteten und mit spirituellem Glanz veredelten, aber in einigen schnelleren Sätzen auch mit weltzugewandter Spiellaune sehr physisch zugänglichen Interpretationen - ein Aspekt, den man bei dieser Musik wirklich nicht unterschlagen darf!
Eine Gebetshaltung verbietet sich hier, Bach war kein Heiliger und ein Gott nur im sehr übertragenen Sinne, wahrscheinlich, weil einige seiner Kompositionen gern wahlweise das "Alte" oder "Neue Testament des Soundso-Spiels" genannt werden.
Schon 2000 veröffentlichte Perahia mit der Londoner Academy die erste Tranche der Bach-Konzerte (siehe Rezension), jetzt sind die Eigenbearbeitungen dran, zwei umgearbeitete Violinkonzerte und, lebenssprühend, das vierte Brandenburgische. Hieran hört man besonders schön, wie delikat der Pianist und Dirigent Perahia mit dem Orchester Kammermusik macht: Da greift ein Rädchen ins andere wie bei einem guten Schweizer Uhrwerk, das ja dem Vernehmen nach nicht nur Präzision, sondern auch eine Seele haben soll (wie Gottfried Keller meinte).
Nein, "Dialoge mit Gott" sind das nicht; aber angeregte und anregende Gespräche mit Bach - das wohl.
Thomas Rübenacker, 01.12.1999
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