Seit er 2022 mit 18 Jahren (!) die renommierte Van Cliburn Piano Competition souverän gewann, gilt der Südkoreaner Yunchan Lim als einer der größten Talente des internationalen Klavierzirkus: Dass er sein offizielles Debütalbum bei seinem Label jetzt mit Chopins „Magna Charta“, also den beiden Etüden-Zyklen op.10 und 25 einläutet, die fast kein bedeutender Pianist ausließ, zeugt von einigem Selbstvertrauen.
Und tatsächlich schafft es Lim, sich hier klar und überzeugend von der erdrückenden Konkurrenz abzusetzen, und mit phänomenaler Technik den poetischen Kern dieser 24 genialischen Miniaturen freizulegen. Lim durchmisst dabei mit rekordverdächtigen Tempi selbst die schwierigsten manuellen Hürden mit einer Mühelosigkeit und einer lyrischen Stringenz, die das komplexe Geschehen in sogartig fließende melodische Linien bündeln. So verwandelt er mit einigem Pedaleinsatz alles Materielle, alles Pointiert-Objektive in einen romantischen Rausch der wechselnden Klangfarben, der weichen Übergänge, der großen Gesangslinien.
Das klingt auf faszinierende Weise durchaus „altmodisch“ und doch klug fokussiert auf den Seelenkern dieser einzigartigen Charakterstücke. In den heroischen Stücken beider Zyklen, also etwa in der „Revolutionsetüde“ op. 10/12 oder in den letzten drei Etüden von op. 25 führt dieses Aufweichen der Konturen dann zu einer Abschwächung des Verzweiflungspotenzials und der politischen Intention, aber dennoch setzt Lim hier insgesamt einen neuen Maßstab müheloser Virtuosität.

Attila Csampai, 20.04.2024

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