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Orpheus und Eurydike. Meine Güte, was für ein Happen. Ein Mythos voller wirklicher Verstrickungen und möglicher Deutungslinien, und keine da, die leuchtend herausragte. Es war Ernst Krenek, der die üble Geschichte einer mindestens neurotischen, wenn nicht gar pathologischen Beziehung anno 1926 in Töne setzte. Man darf sagen, er erfüllte seine Aufgabe mit Bravour. Die Musikgeschichte indes setzte der Bravour einen Kanon entgegen, und in diesem Kanon kommt Krenek bis heute (beinahe) nur als Schöpfer der Jazzoper »Jonny spielt auf« vor. »Orpheus und Eurydike«, im selben Jahre wie Erstgenannte komponiert, verschwand bald von den Bühnen – vielleicht auch, weil diese Oper einen weniger populären Geist atmet. Dort, im »Jonny«, die prall mit Stilen, dramaturgischen Ungewöhnlichkeiten und vor allem mit viel Tempo und Jazzelementen gefüllte (Großstadt)Partitur. Hier, im »Orpheus«, ein ausgreifendes (Beziehungs)Melodram, das dem geballten Klang, dem kurzfristigen Rausch immer wieder Momente größter Fragilität entgegenstellt.
Das Werk, wie gesagt, wird äußerst selten gespielt. Deswegen, und weil das Ganze Teil einer ausführlichen Krenek-Reihe inklusive Symposium war, fuhren wir nach Berlin, um es – in einer konzertanten, von Bildern begleiteten Version – zu hören. Und wurden belohnt. Denn die gleichermaßen intensive wie inspirierende Interpretation des Konzerthausorchesters Berlin unter der Leitung von Lothar Zagrosek bestätigte eindrücklich, dass Krenek als Opernkomponist Format hat. Zumal die klanglichen Schattierungen, der Wechsel zwischen deklamatorischen und quasisinfonischen Passagen wurden in dieser konzentrierten Aufführung sehr plausibel und plastisch herausgearbeitet. Ihren Glanz erfuhr aber die Wiedergabe nicht zuletzt durch die Solisten. Fesselnde Höhe sowie expressive, ja beinahe existenzielle Kraft besaß der voluminöse Mezzosopran von Brigitte Pinter als Eurydike. Ihr Pendant Orpheus wurde von Daniel Kirch mit jener Vehemenz gegeben, die der Rolle eingeschrieben ist. Claudia Barainsky schließlich war eine in der Diktion glasklare, dynamisch äußerst nuancierte und luzide Psyche, kurzum: Sie war grandios.
Grandios, das war auch Anna Prohaska als Poppea in Händels »Agrippina «, die wir, da wir schon einmal in der Hauptstadt weilten, an der Lindenoper sahen, in einer klug-abstrakten Inszenierung von Vincent Boussard. Kaum minder famos ihr Geliebter Ottone, den der Countertenor Bejun Mehta mit lyrischer Inwendigkeit gab. Man darf es ja nicht mehr sagen. Aber dennoch wollen wir es tun: Diese Stimme war engelsgleich. Und klar wie ein Bergsee.
Nicht ganz so klar fließen die Wasser durch unseren nächsten Aufenthaltsort. An den Main verschlug es uns, genauer in die Geburtsstadt Goethes, wo heute betrüblicherweise nicht mehr gar so viel an poetischer Energie waltet, sondern vielmehr ein Spruch des Dichters sich bestätigt, wonach doch irgendwie alles zum Golde drängt und ach auch daran hängt. Aber so sind die Zeiten, wir können sie nicht ändern. Sondern stattdessen die hohe Begabung des jungen lettischen Dirigenten Andris Nelsons rühmen, der zu Gast beim Sinfonieorchester des Hessischen Rundfunks war. Mochte das Violinkonzert mit der Solistin Baiba Skride noch dazu angetan sein, von einer soliden Leistung zu sprechen, überzeugte uns der Strauss nach der Pause dann umso mehr. »Also sprach Zarathustra« hört man selten so schlank, so athletisch und so sprühend vor Funken wie in diesem Konzert. Hinfort aller Schmelz, alles Triefende. So hat Strauss eine Chance weiterzubestehen.
Und so, wie Andrea Marcon Vivaldis »Orlando furioso« an der Oper Frankfurt dirigierte, wird auch dieser Komponist uns weiter erhalten bleiben. Und sind all jene, die Vivaldi nach wie vor für einen Wiederholungsschreiber halten, eines Besseren belehrt. Auch sängerisch wurde hier nur das Feinste dargeboten: Daniela Pini etwa war eine buchstäblich zauberhafte Alcina und Sonia Prina ein Orlando, dessen Rasen sich in lauter Arabesken in die Lüfte schwang.
Dorthin, in die Lüfte nämlich, schwangen wir uns, fürwahr beschwingt, auch wieder, um vor unserer Heimkehr in ruhigere heimische Gefilde noch teilzuhaben am Beethoven-Sibelius-Zyklus der Berliner Philharmoniker. Es lohnte sich. Waren schon die Durchleuchtungen von Mitsuko Uchida in den fünf Klavierkonzerten Ludwig van Beethovens eine Wonne, so wurde man von den Wiedergaben der Sinfonien eins bis vier von Jean Sibelius geradezu erhellt – mit der Erkenntnis, dass Sibelius ein bedeutender Sinfoniker vor dem Herrn war, und dass die Berliner Philharmoniker unter der Leitung ihres wie entfesselt agierenden Chefdirigenten Simon Rattle dasjenige Orchester sind, das die Naturhaftigkeit dieser Werke am besten in die Welt zu übertragen imstande ist. Was nebenbei den schönen Effekt hat, dass der Mythos Adorno, zumindest was seine Sibelius-Deutung angeht, ein für alle Mal ins Reich der Spekulation verwiesen wurde. In diesem Sinne, alles Gute bis zum nächsten Mal, Ihr Tom Persich
Tom Persich, 08.02.2014, RONDO Ausgabe 2 / 2010
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