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Kein Flügel, nirgends. Nur ein E-Piano steht da, das sich in die Ecke duckt in dieser unpoetischen Übezelle im Potsdamer Nikolaisaal. Grund genug also gäbe es für die junge Dame, die mit rehscheuem Blick auf einem Stuhl sitzt, die Augen beinahe ängstlich aufgeschlagen, dergleichen Umstände zu monieren. Schließlich muss sie am Abend ein Konzert geben. Brillieren vor einem Publikum, das Besonderes erwartet von einer wie ihr, die erst 22 Jahre ist und schon in aller klassikmusikalischer Munde. Doch da sitzt (und plaudert aufs Vergnügteste) eben keine wundersam entrückte Künstlerfee. Sondern eine ganz normale junge, attraktive Frau, die sich selbst als (allzu) romantisch bezeichnet, Diderot mehr liebt als Voltaire, und die eine ganz famose Pianistin ist, der es einst gelingen könnte, zu den ganz Großen gezählt zu werden. Lise de la Salle. Zugegeben, der Name deutet auf blaublütige Vergangenheit, auf rote Teppiche. Doch das zählt nicht mehr, abgesehen von der vielleicht nicht gar so unwichtigen Tatsache, dass Lise dieser Vergangenheit die ungezwungene Nähe zur Kunst verdankt. Zur Malerei und zur Musik. Und hier insbesondere zu der Musik von Wolfgang Amadé Mozart.
Mozart, das ist ihr Säulenheiliger Nummer eins. Es folgen die Herren Bach und Beethoven. Aber oben steht Mozart. Und wer sie mit einer Mozartsonate oder einem Klavierkonzert des Genies gehört hat, ahnt, warum das so ist. Das Mozartspiel von Lise de la Salle ist auf so unerfindliche Weise erhaben, so schön, so schlicht und so tief greifend, dass man bei einem Blindtest geradewegs daneben tippen würde (nämlich auf eine begnadete, lebenserfahrene Dame um die 40). Er ist reif, dieser Mozart, rund, und dabei dämonisch. Natürlich würde sie ihn, den Schöpfer, gerne treffen. Einen Wein mit ihm trinken, denn: »Da ist etwas, wenn ich ihn spiele, das unbeschreiblich ist: ein tiefes Vergnügen. Ich fühle mich, als würde ich ihn verstehen, auch wenn es prätentiös klingt, mit dem Körper, mit dem Geist und mit dem Herzen.«
Beinahe das Gleiche empfindet sie für Chopin, dessen Balladen sie soeben aufgenommen hat. Wieder betört die tiefe Empfindsamkeit in ihrem Spiel, das portweinschwere Gemüt der Klänge. Die Melancholie hinter dem Glanz. Und die Farbenvielfalt. Lise de la Salle findet, Chopin sei in einem Punkt vergleichbar mit Mozart: »Alles scheint so leicht und ist so schwer. Zudem steckt in beiden sehr viel Melancholie.« Wobei: in Chopin mehr als in Mozart. Chopins Musik, sagt sie, sei wie eine Blume auf der Haut, »so empfindlich, so zart, so duftend, so fragil! Ich habe das Gefühl, dass er mit aller Macht nach einem Hauch von Hoffnung sucht, aber im gleichen Moment weiß, dass diese Hoffnung vergeblich ist.« So sehr ist Lise de la Salle diesem Gedanken verhaftet, dass sie, als sie in einer Biografie las, Chopin habe Momente gehabt, in denen er lauthals gelacht hat, doch sehr verwundert war. Was ihren eigenen Weg angeht, ist sie es nicht. Sie vertraut ihrem Können. Aber sie stellt es nicht aus. Sie weiß, wohin das führen könnte. Und in den Zoo des Entertainments will sie nicht. Was sie will, ist, dass die Musik ihre Faszination nicht verliert. Und dass da eine Spur (oder gerne auch ein bisschen mehr) von Individualität durchscheint. Dafür arbeitet sie. Fünf bis sieben Stunden pro Tag. Nicht jeden Tag. Aber sehr viele Tage. Wie gesagt. Keine Fee. Aber eine verflixt begabte und aussagekräftige Pianistin.
Jürgen Otten, 04.01.2014, RONDO Ausgabe 5 / 2010
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