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N° 1297
18. - 24.03.2023

nächste Aktualisierung
am 25.03.2023



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Der Freischütz

Nachts auf dem Dach des Jagdschlosses

Es geschieht nicht allzu häufig, dass eine Oper für die große Leinwand verfilmt wird. Unmittelbar vor Weihnachten kommt »Der Freischütz« in die Kinos. Klaus Kalchschmid hat sich den Film vorab angesehen und mit der Hauptdarstellerin Juliane Banse gesprochen.

Keine Mühe gescheut hat Regisseur Jens Neubert für diese enorm aufwendige »Freischütz«-Verfilmung an den Originalschauplätzen in Sachsen. Sie spielt während der Napoleonischen Kriege nach der Schlacht von Dresden im August 1813. Historisch präzise sind Dekors wie die Kostüme, allen voran die Uniformen der Soldaten, mit deren blutigen Leichen in der Wolfsschlucht der Film beginnt, oder die Kleidung der einfachen Leute, die gespielt und gesungen werden von 600 Statisten aus elf Laienchören.
Kaspar und Max sehen dagegen eher wie verdreckte und verwilderte Freischärler aus denn wie brave, biedere Jäger. Kein Wunder, dass Agathe so heftig aus ihrem Traum hochschreckt, in dem Max sie als Taube erschießt! Und auch das Bild, das zuvor schon dramatisch von der Wand gefallen war, zeigte nicht den Erbförster, sondern Napoleon höchstselbst. Schließlich hatten sich die Preußen gerade mit den Österreichern gegen ihn verbündet.
Neben der illustren männlichen Sängerriege – Michael Volle, Michael König, René Pape, Olaf Bär und Franz Grundheber – sind die weiblichen Partien nicht minder hervorragend mit der erst 23-jährigen Regula Mühlemann und Juliane Banse besetzt. Es war nicht Banses erste Agathe – die stellte sie in einer typischen Robert- Wilson-Inszenierung dar –, dafür agierte sie diesmal in einem noch ungewöhnlicheren Ambiente: in einem Kinofilm, der in freier Wildbahn und in den kostbaren Räumen eines edlen Empire-Jagdschlosses gedreht wurde.
Für den Film wurde die Musik mit dem London Symphony Orchestra unter Daniel Harding vorab aufgenommen. Was auch schon die erste Herausforderung war, denn damit später für die Bilder zwischen Nahaufnahme, Halbtotale und Totale, zwischen Innen und Außen der richtige akustische Winkel zu finden war, saß bei den Mehrkanal-Aufnahmen in den berühmten Abbey Road Studios in London jeder Sänger in einer engen Kabine. Orchester und Sangeskollegen waren nur über Kopfhörer »zugeschaltet «, den Dirigenten konnte man nur über Monitor sehen.
Bei den Dreharbeiten hörten die Sänger dann die Aufnahme samt ihrer eigenen Stimme über Lautsprecher, mussten aber nicht nur die Lippen synchron bewegen, sondern um der dramatischen Wahrhaftigkeit willen ihren Part auch voll aussingen. Von den Widrigkeiten des ersten Drehtages, an dem erst einmal das Ende auf dem Programm stand, ließ sich Juliane Banse nicht abschrecken: »Sicher dreißig Mal bin ich da in sengender Hitze beim ’Schieß nicht, ich bin die Taube!’ mit meinem weißen Kleid in den Dreck geflogen – bis die Szene endlich im Kasten war!« Da hat ihr eine andere Herausforderung schon besser gefallen: »Die erste Arie beginnt und endet im Bett, aber dazwischen musste ich schlafwandelnd mit einem Seil angeleint hoch oben auf dem Dach des Jagdschlösschens herumkraxeln, nachts zwischen elf und drei in der Eiseskälte!« Gefallen hat der Sopranistin aber nicht nur dieser »Stunt« (»Da ist die Agathe endlich einmal nicht larmoyant und man kann ihr Innenleben nach außen kehren.«), sondern auch die minutiöse, intime Arbeit am Dialog.
Auch die vielen Nahaufnahmen waren für Juliane Banse kein Problem: »Natürlich überlegt man sich manchmal, wie viel Mimik sein darf so nah an der Kamera. Das größte Problem in meinem Gesicht war aber die Narbe, die ich vom herabfallenden Bild davontrug und die die Maskenbildnerin jeden Tag wieder exakt gleich wie am Vortag hinbekommen musste!«

Klaus Kalchschmid, 04.01.2014, RONDO Ausgabe 6 / 2010



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