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N° 1355
27.04. - 03.05.2024

nächste Aktualisierung
am 04.05.2024



Startseite · Interview · Gefragt

(c) Bettina Brotbek Fotografie

Nikolaus Matthes

Musikalische Wiedergeburt

Die Musik von Bachs „Markus-Passion“ von 1731 ist verschollen – doch den Text von Picander hat ein Komponist nun im barocken Stil neu vertont.

Während die „Matthäus-“ und die „Johannes-Passion“ als bestens erforschte Hauptwerke aus dem Kanon nicht mehr wegzudenken sind, ist Bachs verschollene „Markus-Passion“ ein Mysterium geblieben. Ob er eine Originalmusik dazu schrieb, im so genannten Parodieverfahren altes Kantatenmaterial wiederverwendete oder ob der gesamte Notentext gar von einem anderen Komponisten stammte, wir wissen es nicht. Die einzige Konstante in der Überlieferung ist der Text von Christian Friedrich Henrici, genannt Picander, der in Originalgestalt nun nach knapp 300 Jahren seine erstaunliche musikalische Wiedergeburt erlebte. Geburtshelfer und Komponist ist der deutsch-schweizerische Musiker, Regisseur und Tonmeister Nikolaus Matthes, der schon als Kind besessen war vom Werk Johann Sebastian Bachs und sich im April 2019 versuchsweise daran machte, das Libretto von 1731 im Sinne des Meisters neu zu vertonen. Ende 2019 intensivierte Matthes seine Arbeit, nach wenigen Monaten war die auf knappe drei Stunden Spieldauer angewachsene Riesenpartitur beendet.
Das Ergebnis klingt erstaunlich. Es verinnerlicht die Musiksprache Bachs vollkommen, nur eben mit einer sehr eigenen, durch harmonische Zuspitzungen oft zu äußerster Dramatik getriebenen Note: ein barockes Werk in zeitgenössischer Handschrift. „Ich hatte überhaupt nicht die Absicht einer wissenschaftlichen Rekonstruktion“, sagt Matthes, der sein Oratorium für ein etwa 50-köpfiges Kollektiv aus Solisten, Chor und abwechslungsreich besetztem Orchester gesetzt hat. Auch sei er bei der Arbeit weniger planvoll vorgegangen, als es der geschlossene Gesamteindruck vermuten lassen würde. „Zunächst habe ich die Choräle ausgearbeitet“, sagt der Komponist, „ansonsten bin ich chronologisch von Anfang bis Ende durchgegangen.“ Dass das Werk aufgeführt und auch als Aufnahme veröffentlicht werden sollte, stand für Matthes von Anfang an fest. Die allesamt aus der historisch informierten Aufführungspraxis stammenden Interpreten hatte er schnell zusammengetrommelt, dank guter Planung erhielten sie das gesamte Notenmaterial bereits ein Jahr vor der ersten Aufführungsserie in der Schweiz, angesetzt fürs Frühjahr 2023.
Die Kontakte zu den Musikern stammten größtenteils aus der Zeit zwischen 2013 und 2019, in der Matthes neben seinem Studium der Komposition bei Michel Roth und Johannes Menke in Basel als Assistent des Tonmeisters Stefan Ritzenthaler in St. Gallen gearbeitet hat. Finanziell ermöglicht wurden die Aufführungen in Zürich, Bern, Basel und Luzern durch die Unterstützung diverser öffentlicher Stiftungen; zusammen mit der Generalprobe dienten die Konzerte in Zürich und Luzern als Basis für die Aufnahme, die nun in einer edlen, mit umfassenden Informationen versehenen Edition beim Label resonando herausgekommen ist. „Die schönste Erfahrung bei dieser Produktion war für mich, dass wir fast zwei Wochen am Stück miteinander gearbeitet haben, ohne dass auch nur ein böses Wort gefallen wäre“, sagt Nikolaus Matthes. Nun hofft er, das Werk selbst wieder aufführen und auch andere Interpreten und In­stitutionen dafür begeistern zu können – und einen eigenen Beitrag zum Kreis der alljährlich aufgeführten Passionen beizusteuern.

Neu erschienen:

Nikolaus Matthes

„Markus-Passion“

Georg Poplutz, Daniel Johannsen, Daniel Pérez, Maya Boog, Annekatrin Laabs, Matthias Helm, Gli Aspetti, Nikolaus Matthes

resonando

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Stephan Schwarz-Peters, 23.03.2024, RONDO Ausgabe 2 / 2024



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