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N° 1355
27.04. - 03.05.2024

nächste Aktualisierung
am 04.05.2024



Startseite · Interview · Gefragt

(c) Sarah Katharina

Elīna Garanča

Entspannt durch die Dämmerung

Das neue Album der Star-Mezzosopranistin huldigt der blauen Stunde – mit Musik von Strauss bis zum lettischen Wiegenlied.

RONDO: Sind Sie ein Nacht- oder ein Tagmensch?
Elīna Garanča: Ich bin eine vollkommene Lerche. Ich liebe das Morgengrauen, mein Mann zieht mich immer auf, ich sei ein gackerndes Huhn, weil ich morgens so lebhaft bin. Und wenn es dunkel wird, suche ich bereits einen Ort, wo ich mich verstecken kann. Deshalb kommen mir die letzten Opernakte oft sehr mühsam vor, weil ich einfach schon schlafen gehen will. Also muss ich mich da, wo wie etwa in „Aida“ ja oft das Schwerste kommt, doppelt zusammenreißen. Dafür ist hinterher kaum mehr etwas mit mir anzufangen und ich steuere sehr schnell das Bett an. Duschen, einen Tee – und Licht aus.

Sie sind also keine Sängerin, die nach einer Vorstellung erst langsam ihren Adrenalinspiegel wieder herunter pegelt?
Nein, und das habe ich gerade auch durch meine Kinder gelernt. Ich muss so schnell wie möglich schlafen, denn womöglich werde ich um zwei Uhr schon wieder geweckt, weil ein Zahn wehtut. Oder spätestens frühmorgens. Da muss ich mit meinen Reserven haushalten.

Lieben Sie deshalb die Blaue Stunde, die Sie jetzt in Ihrem jüngsten Album „When Night Falls …“ besingen?
Da bin ich noch wach, unbedingt. Und die genieße ich, das habe ich besonders während der Pandemie gelernt, wo ich viel Zeit für meine Familie hatte und dies der Moment war, wo der Tag noch einmal Revue passiert. Aber dieses Abenddämmern kann ja durchaus dauern, hat diverse Stadien. Deshalb schlägt das Album einen so großen Bogen von einer üppig orchestrierten Strauss-Melodie bis zu einem A-cappella-Wiegenlied aus Lettland, das ich natürlich auch für meine Töchter gesungen habe.

Stilistisch ein sehr breites Panorama … Deutschland, Spanien, Lettland, Südamerika.
Das sind alles Länder, die ich gerne mag, und besonders wichtig war, aus meiner persönlichen Situation heraus, dieser Latino-Flair. Die Gitarre ist natürlich ein sehr passendes Instrument dafür, und ich fühle mich etwa auch Mexiko, wo ich schon öfters war, sehr verbunden. Das Album ist also eine musikalisch stilisierte Reise durch verschiedene Zeitzonen, immer aber auf der Spur der Blauen Stunde. Ich versuche auch verschiedene Temperamentszugänge zu diesem Moment zu finden – nach einem vollen, einem langweiligen, einem unerwarteten, emotionalen, kraftzehrenden Tag.

Hatten Sie eigentlich immer schon eine Latina-Seite? Oder ist die erst in Ihrer Zweitheimat Spanien aufgeblüht?
Die gab es bestimmt schon immer, aber im kühlen Baltikum war sie zu schüchtern, sich zu zeigen. Sie brach aber später umso vehementer auf. Und das Gute bei meinem Mann aus Gibraltar ist ja wiederum, dass er Latino-Temperament mit englischen Manieren paart. Also sind wir ein guter Mix, nicht nur künstlerisch.

Findet sich das Leise, Intime im Studio leicht?
Man braucht Zeit, bis man angekommen ist, bis wir in der Stimmung sind. Ich komme oft auch früher. Das dauert meist eine halbe Stunde des Einspielens, aber dann werde ich sicherer, traue mich bisweilen sogar, ein wenig zu improvisieren. Ich bin zwar eine Perfektionistin, aber gerade auf diesem Album ist mir auch der Gesamteindruck wichtig. Und mit einem wunderbaren, aber eben inzwischen 88-jährigen Künstler wie Raimonds Pauls geht es eben nur in einem Take, er kann nicht wiederholen, weil ihm das Gefühl so bedeutsam ist. Da stört es mich auch gar nicht, wenn da ein etwas unperfekter Ton dabei ist, wenn der Gesamteindruck einfach der richtige ist. Hier herrscht auch mal Witz und Leichtigkeit. Das ist freilich etwas, das ich erst lernen musste. Als reife Sängerin kann man leichter loslassen. Man weiß ja, was man kann und wo man vokal hinwill. Das war mit den verschiedenen Partnern auf diesem Album sehr schön, ein wenig Go-with-the-Flow. Hier habe ich zu Unreinheiten den Mut gehabt, wollte nicht auf meinen sonstigen Pingeligkeiten bestehen.

Ihre Alben sind eigentlich fast immer sehr kaleidoskopartig, bunt und kleinteilig. Sie haben auch mal gesagt, irgendwann langweilen Sie Rollen, Sie wollen bestimmte Partien nicht 200-mal verkörpern, suchen lieber neue Herausforderungen. Sind auch die Platten Momente dieser Ungeduld?
Ich finde sie eher erstaunlich biografische Momente, die ich jeweils in vielen Facetten vokal fassen wollte. Und ja, ich kann auch stimmungsmäßig sehr wechselhaft sein. Wie als Künstlerin. „Habanera“ kam, als ich Spanien für mich entdeckt habe, dann war ich schwanger. „Meditation“ habe ich konzipiert, als ich schon wusste, dass meine Mutter sterben würde. Dann kam der Moment für das Lied, ich wusste, was ich mit Schumanns „Frauenliebe und -leben“ ausdrücken möchte. Und jetzt, Covid, die Ängste der gegenwärtigen Weltsituation: Meine Antwort ist die hoffentlich tröstende, aber eben auch lächeln machende Zusammenstellung von „When Night Falls …“

Haben Sie diese entspannte Haltung inzwischen auch gegenüber Ihrer Opernkarriere?
Unbedingt. Ich bin jetzt 47 Jahre alt, habe mit Santuzza, Verdis Amneris und Wagners Kundry die Partien erreicht, die ich mir gesetzt hatte. Die will ich jetzt genießen. Und vielleicht kommen ja auch noch die Ortrud, die Azucena, die ich mit keiner lyrisch-dramatischen Stimme schaffe oder etwas von Janáček, mal sehen. Außerdem hat man mir viele Male die Lady Macbeth angeboten, aber ich möchte meine warme, lange und gut aufgebaute Mittellage nicht gefährden. Die eher larmoyante Marschallin ist nicht mein Charakter, sehr weit weg ist noch die „Pique-Dame“-Gräfin. Und meine große Herausforderung ist gerade Bartóks Judith. „Herzog Blaubarts Burg“ singe ich erstmals im Mai szenisch in Neapel. Und das war eine wirklich schwere Lernerei!

Neu erschienen:

„When Night Falls …“

Elīna Garanča, Malcom Martineau, Albrecht Mayer, Raimonds Pauls, Raphaël Feuillâtre, José María Gallardo del Rey, Philharmonisches Orchester Gran Canaria, Karel Mark Chichon

DG/Universal

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Manuel Brug, 23.03.2024, RONDO Ausgabe 2 / 2024



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