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N° 1355
27.04. - 03.05.2024

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am 04.05.2024



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(c) Marco Borggreve

Théotime Langlois de Swarte

Ritter mit Bogen

Der 28-jährige Franzose nabelt sich gerade als Geiger von Les Arts Florissants ab – auch mit diesem tollen Vivaldi-Doppelalbum.

Die erste Frage, die man dem aufstrebenden, sich gerade mit Vehemenz im Konzert wie auf Alben einer begeisterten breiteren Öffentlichkeit bekanntmachenden französischen Geiger Théotime Langlois de Swarte stellt, ist natürlich die nach seinem ungewöhnlichen Namen. Der Nachname ist eine Kombination der Namen seines Vaters und seiner Mutter, die ihren unbedingt noch weiterverwendet sehen wollte. Wobei de Swarte wohl holländischen Ursprungs ist. Théotime, der seltene Vorname, geht hingegen auf einen in Südfrankreich verehrten Heiligen zurück: Theotimus lebte als Philosoph im 4. Jahrhundert an der skythischen Schwarzmeerküste. Théotimes Mutter las während ihrer Schwangerschaft zufällig eine Erzählung über ihn und fand den Namen so schön, dass er bald darauf zum praktischen Einsatz kam.
1995 also wurde Théotime geboren, seine Eltern sind beide Sänger und Lehrer. Musik war immer Teil seiner Erziehung und Entwicklung. „Und so habe ich es eben einfach ausprobiert und weitergemacht. Das war eigentlich ganz natürlich“. Die Begegnung zwischen der Geige und Théotime Langlois de Swarte fand dann mit vier Jahren statt. Für ihn waren die Geige und ihr Bogen eine Einheit, „die dem Schwert eines Ritters aus dem Mittelalter sehr ähnlich war“. Es war diese „sehr realistische“ Vorstellungswelt, die ihn schon mit neun Jahren auch zur Barockmusik führte.
Seitdem pflegt er ein umfangreiches Repertoire, das seine Wurzeln im 17. Jahrhundert hat und bis in die Gegenwart reicht. Sein neugieriger Eklektizismus führte dazu, dass er 2020 bei den „Victoires de la Musique Classique“ in der Kategorie „Neuentdeckung/Instrumentalsolist“ ausgezeichnet wurde.
„Und es war natürlich toll, ausgerechnet während meiner Studienzeit in Paris gleichzeitig Mitglied von Les Arts Florissants zu sein, und William Christie hat mich wirklich sehr gefördert“, erzählt Théotime weiter. „Ich konnte die Welt bereisen, mit sehr vielen bedeutenden Namen auftreten und so wirklich die unabdingliche Praxis lernen. Was durchaus auch heißt, dass etwas mal nicht so funktioniert wie man es sich vorstellt. Aber man lernt Barockmusik weniger durch Theorie und Unterricht, denn durch lebendiges Spiel und Austausch wie Ausprobieren im Konzert.“
Christie hat in dieser Zeit auch sein Festival „Dans les Jardins“ in der Vendée aufgebaut, und das bot natürlich auch Langlois de Swarte viele Möglichkeiten, sich in diesen kleinen Konzerten solistisch zu betätigen. Der Ältere belegte seinen großen Vertrauensvorschuss, als er Théotime als Solist in Sonaten am Cembalo begleitet hat: „Wir haben sogar ein Album zusammen gemacht, das mir sehr lieb und teuer ist.“

Eine Biografie in Tönen

Regulär studiert hat Théotime Langlois de Swarte, der eine Jakob-Stainer-Violine aus dem Jahr 1665 spielt, am Pariser Conservatoire in der Klasse von Michaël Hentz. 2015 gründete er mit dem Cembalisten Justin Taylor das Ensemble Le Consort, in dem heute unter anderem auch die Geigerin Sophie de Bardonnèche und die Cellistin Hanna Salzenstein mitwirken. Sie bilden zusammen den Nukleus seines aktuellen, ambitionierten Vivaldi-Projekts, für welches es sogar zwei CDs sein mussten.
Denn „Concerti per una vita” möchte nicht nur dem bisweilen vielgeschmähten Komponisten, sondern auch dem einzigartigen Geigenvirtuosen Gerechtigkeit widerfahren lassen. Und so hat Théotime Langlois de Swarte nicht nur zwölf sehr unterschiedliche Solokonzerte aus dem gewaltigen Werkkorpus ausgewählt, die biografisch wichtige Stationen oder stilistische Entwicklungen wie den Austausch mit dem Dresdner Virtuosen Johann Georg Pisendel deutlich machen. Er bindet darüber hinaus Vivaldi in Musik seiner Zeitgenossen ein, etwa Giovanni Legrenzi oder Jean-Joseph Mouret, und arbeitet dabei mit kontrastierenden Besetzungen.
Nicht nur stellt er hier die Genueser Originalfassung des „Sommer“ aus den „Vier Jahreszeiten“ erstmals zur Diskussion (die einzig erhaltene), er kann mit cleveren, das Hörnarrativ sehr gut einbettenden Bearbeitungen prunken – vor allem mit der Weltersteinspielung von gleich vier wiedergefundenen und zum Teil von dem Musikologen Olivier Fourés ergänzten Violinkonzerten: Das wird die konkurrierende Turiner Vivaldi-Edition, die ihre Hörschätze bei Naïve veröffentlicht, gar nicht freuen.
Théotime Langlois de Swarte kann das egal sein. Dieses ambitionierte, spielfreudige und überraschend abwechslungsreiche Doppelalbum tut nicht nur Vivaldi Gerechtigkeit, es wird auch den Namen seines Solisten polieren und zum Glänzen bringen. Sein Talent und die Wertschätzung durch das Publikum werden ihn somit weiterhin in renommierte Konzertsäle auf der ganzen Welt führen.
2020 startete die Zusammenarbeit mit seinem aktuellen Label. Damals nahm er mit dem Lautenisten Thomas Dunford sein erstes, der englischen Musik gewidmetes Album „The Mad Lover“ auf, Es folgten seither fünf weitere Alben, „Les frères Francœur“ von 2022 mit Justin Taylor ist hingegen bei dessen Label herausgekommen. Als „Botschafter des Jahres 2022“ des REMA European Early Music Network und Gewinner des Diapason d’or für sein Vivaldi-Locatelli-Leclair-Album sowie zahlreicher weitere Auszeichnungen hat sich Théotime Langlois de Swarte jedenfalls schnell einen Platz unter den Geigern seiner Generation sowohl auf modernen als auch auf historischen Instrumenten geschaffen.
2023 unternahm er mit dem Australian Brandenburg Orchestra seine erste Solo-Tournee durch Australien. Im Frühjahr 2025 wird er Les Arts Florissants auf einer Nordamerika-Tournee von der Violine aus in Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ leiten. Und auch als Operndirigent hat er sich bereits bewährt.
Es sind also junge undogmatische Interpreten, die gerade in den inzwischen bekannten, scheinbar ausgedeuteten Barockkomponisten nach wie vor Neues und Innovatives entdecken. Und eben davon bietet das Album „Concerti per una vita“ jede Menge. Sei es durch die sorgsam abwechslungsreiche Werkauswahl, die so schlüssig wie entdeckungsreich ist. Sei es durch das gar nicht erwartbare, mal splissige, mal höchst geschmeidige, mal zart-leise, dann wieder mutwillig-auftrumpfende Geigenspiel nebst dem sorgsam arrangierten Orchesterpart, welches ein facettenreiches Kaleidoskop buntester Klangfarben durcheinanderwirbeln lässt.

Neu erschienen:

Vivaldi, Legrenzi, von Westhoff, Mouret

„Concerti per una vita“

Théotime Langlois de Swarte, Le Consort

2 CDs, hm/Bertus

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Im Konzertbereich ist Théotime Langlois de Swarte ein regelmäßiger Partner von William Christie (mit dem er 2021 das Album „Générations“ veröffentlichte) und Justin Taylor. Mit Thomas Dunford und dem Pianisten Tanguy de Williencourt hat er außerdem „Proust, le concert retrouvé“ aufgenommen. Mit dem Trio Dichter, seinem anderen Kammer­musikensemble, veröffentlichte er kürzlich „An ­Invitation At The Schumanns“. Mit dem Ensemble Les Ombres hat er Solokonzerte von Locatelli, Leclair und Vivaldi aufgenommen – was sich jetzt fortsetzte. Neben seiner Solokarriere trat Théotime Langlois de Swarte 2023 zudem als Dirigent an der Opéra Comique in Lullys „Le Bourgeois gentilhomme“ und Grétrys „Zémire et Azor“ auf.

Manuel Brug, 10.02.2024, RONDO Ausgabe 1 / 2024



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