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N° 1355
27.04. - 03.05.2024

nächste Aktualisierung
am 04.05.2024



Startseite · Medien · Unterm Strich

Unterm Strich

Ramsch oder Referenz?

CDs, vom Schreibtisch geräumt.

Als George Antheil von Berlin nach Paris umzog, Anfang der zwanziger Jahre, stellte er Unterschiede fest, „wie zwischen schwarzer Nacht und grünem, zärtlichen Morgen.“ Paris war in dieser Zwischenzeit zu einem Treffpunkt nicht-französischer junger Künstler geworden: eine Art nicht-nationalistischer, europäischer Melting Pot. Viele Komponisten kamen aus Osteuropa, meist jüdischer Herkunft. Fast alle teilten später das Schicksal einer verlorenen Generation. Sie fielen (so dramatisch drückt es Labelchef Frank Harders-Wuthenow aus) „ins Niemandsland“ der Musikgeschichte. Das Album „Écoles de Paris“ (EDA/Naxos) holt nun vier hochvirtuose Konzertstücke aus dieser Versenkung heraus, brillant interpretiert von Musikern des DSO Berlin. Außer Antheil, dem amerikanischen „Bad Boy“ sind vertreten: Jacques Ibert mit einem leichtfüßigen Cellokonzert, Simon Laks mit einem neoklassischen Klavierkonzert und der Rumäne Marcel Mihalovici mit einer hinreißend lyrisch inspirierten Kammermusik, uraufgeführt in Donaueschingen 1951. To be continued. Diese Musiken möchte man heute wieder im Konzertsaal hören.

George Antheil, Jacques Ibert, Simon Laks, Marcel Mihalovici

„Écoles de Paris“

Mitglieder des DSO Berlin

EDA/Naxos

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Anders als Berlin oder Paris zeichnet sich München aus durch lebhaften Lokalpatriotismus. Ganz wie erwartet wurde der Startschuss zur Ära Simon Rattle im Herbst von sortenrein wonnigem Pressejubel akkompagniert. Gleiches gilt für den konzertanten „Ring“, den Rattle, quasi als Brautgabe, im Vorfeld mit dem Symphonieorchester des BR stemmte. Er ist jetzt zu drei Vierteln fertig, ein großer Schritt für die bayerische Landeshauptstadt, aber für den Katalog eher unerheblich. Ausdrücklich ausgenommen sei: „Siegfried“ (BR Klassik/Naxos). Die Besetzungsliste liest sich, zumal in den kleineren Rollen, wie ein Weihnachtswunschzettel! Wenn Gerhild Romberger als Erda in purpursamtrote Tiefen hinabsteigt („wild und kraus kreist die Welt“) stellen sich alle Nackenhaare auf. Wenn Georg Nigl als Alberich den im Halbschlaf grollenden Fafner Franz-Josef Selig übers Ohr hauen will, tönt das zuerst ganz leise, eiszapfenkalt. Magdalena Hoffmann, Soloharfenistin des Orchesters, hat die beiden gezeichnet, während der Proben, auch Erda, Wotan, Brünnhilde. Sehr schöne Karikaturen, zu besichtigen im Booklet.

Richard Wagner

Siegfried

Gerhild Romberger, Georg Nigl, Franz-Josef Selig u.a., Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, Simon Rattle

3 CDs, BR Klassik/Naxos

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In erster Ehe war die Komponistin Germaine Tailleferre mit dem amerikanischen Cartoonzeichner Ralph Waldo Emerson Barton verheiratet. Sie teilte mit ihm die Liebe zu bösen Witzen und knappen Pointen. Außerdem gehörte sie, als einzige Frau, zur Groupe des Six – einer Formation, der Holger Falk und Steffen Schleiermacher schon etliche preiswürdige Lied-CDs gewidmet haben. Nun ist endlich die Tailleferre an der Reihe: 25 ihrer zauberhaft verwirrenden Shorties finden sich auf dem Album „Mélodies et chansons Vol. 2“ (MDG/Naxos). Freche Couplets sind dabei, auch bizarre Merk- oder Rätselsprüche. Aber auch tonale Sentimentalitäten, bei denen tritt Schleiermacher dann sanft kongenial das Pedal. Falk führt seine goldene Baritonstimme stilsicher durch alle Gefahren, sogar kopfstimmenvirtuos. Dazu gekoppelt haben die beiden weitere 20 Lieder von Darius Milhaud. Eines schöner als das andere. Mir gefällt gerade am besten das von der Schachbrettblume aus dem „Catalogue de fleurs“.

Germaine Tailleferre, Darius Milhaud

Mélodies et chansons Vol. 2

Holger Falk, Steffen Schleiermacher

MDG/Naxos

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Vor zehn Jahren grub ein polnischer Pianist namens Sławomir Zubrzycki das „Bogenklavier“ wieder aus: Ein Cembalo, das die Saiten nicht anzupft, sondern anstreicht. Ein Monsterchen, etwas unpraktisch, erfunden im Zeitalter der Aufklärung, es hat sich nicht durchgesetzt. Hatte auch noch viele andere Namen, hieß „Bogenwerk“ oder „Viola organista“, frei nach Leonardo da Vinci. Zubrzycki erregte damit großes Aufsehen, prompt setzte Björk das Ding in „Vulnicura“ ein. 2021 baute er dann ein verbessertes Modell für sein jüngstes Album: „Wondrous Machine“ (Accent/Note 1). Es heißt nun „Lyrichord“, weil es eventuell Georg Friedrich Händel unter diesem Namen bekannt gewesen sein könnte. Dessen beliebtes Orgelkonzert B-Dur HWV 294 spielt Zubrzycki nun als „Originalversion“. Das Lyrichord wird dabei ergänzt durch eine Laute und eine nachgebaute Welsh Harp (mit 3 Saitenreihen), gespielt von Margret Koell. Und ob das nun historisch beglaubigt ist, oder nicht, egal: Diese Mischung klingt zärtlich, seltsam, super. Händel hält wirklich viel aus!

Georg Friedrich Händel, James Oswald, Christof Dienz

Wondrous Machine

Accent/Note 1

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Eleonore Büning, 02.12.2023, RONDO Ausgabe 6 / 2023



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