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N° 1355
27.04. - 03.05.2024

nächste Aktualisierung
am 04.05.2024



Startseite · Oper & Konzert · Fanfare

Barrie Kosky inszeniert „Rheingold“ am Royal Opera House Covent Garden (hier: Ryan, Knox-Peebles) (c) Monika Rittershaus

Fanfare

Proben, Pleiten und Premieren

Höhepunkte in Oper und Konzert

Noch vor dem ersten Kontrabass-Es steht da im neuen „Rheingold“ des Royal Opera House Covent Garden eine uralte, nackte Erda, mit stummem Schrei vom Ursprung der Welt und ihrem Verfall kündend. Da soll sie auch die anderen drei Wagner-Teile bleiben. Zudem dreht sich alles um die verstümmelte Weltesche, aus der flüssiges Gold gemolken wird. Den ersten Einfall hatte Barrie Kosky – auf Erdas originales Erscheinen beschränkt – bereits vor zwölf Jahren bei seinem erste „Ring“-Anlauf in Hannover. Und Öko-„Ringe“ sind ja auch nicht so neu.
Wenig entertaining, sieht man von seiner immer brillanten Personenregie ab, erweist sich der Berliner Meister aller Regieklassen. Etwas Deutungstieferes hätte man bei einem so prestigeträchtigen Termin schon erwartet. Immerhin, der vielgeliebte Covent-Garden-Musikchef Antonio Pappano dreht in der ersten Premiere seiner 22. und letzten Spielzeit klangsatt auf: Sein ganz aus praxisnaher Theatralität geschnittener Zugang, vital, beweglich, farbig, griffig, versteht Wagner als Dramatiker.
Steigerungsfähig sind die Sänger: Christopher Purves (Alberich) spricht schrill. Der bullige Wotan von Christopher Maltman hat zu wenige Vokalfarben. Marina Prudenskajas Fricka keift essigsauer, der Loge von Sean Panikkar ist überpräsent mit wenig Stimme. Zum Einzug nach Walhall lässt Kosky mal wieder regenbogenbuntes Glitzerkonfetti rieseln.

Da hatten wir am Opernhaus Zürich mehr Spaß, wo – 2024 steht Puccinis 100. Todestag an – erstmals (!) in der Schweiz sein operettiges Schmerzenskind „La rondine“ gegeben wurde. Das dann aber total de luxe. Christof Loy ist als sensitiver Divenschmeichler wie Verismo-Liebhaber bestens präsentabel. Und so bringt er den heiklen, weil eigentlich so faden Stoff überzeugend feinfühlig auf die blassrosa Salon-Bühne.
Wieder ist hier alles wohl ein Traum, eben jener „sogno di Doretta“, den Magda, die sich von reichen, älteren Männern aushalten lassende „Schwalbe“ in Erinnerung an eine von ihr abgebrochene Begegnung mit einem Studenten melancholieumflort arios vergegenwärtigt. Die so fragile wie handfeste Ermonela Jaho singt das berückend schön und kontrolliert vibratozart. Und wieder streift ein junger Mann, Ruggero, die Bahn des Vögelchens. Für den burschikosen, tenorschlaksigen Benjamin Bernheim ist das eine weitere Gelegenheit, auf schönste Weise stimmzuglänzen. Jahos schon reifere, weichfließende Vokalschattierungen und Bernheims abgerundet juveniler Tenorstahl mischen sich wunderfein. Aber es geht schlecht aus: Am Ende warten stets von Neuem alte Männer im Alkoven. Das ist der Lauf dieser Welt.

Wir sind in der Schweiz geblieben. Denn das Grand Théâtre de Genève hat einen geschlossen guten, langen, aber nie langweiligen „Don Carlos“ in der fast kompletten französischen Fassung gewuppt. Das ist dann immer ein Fest der Grand Opéra. Marc Minkowski bleibt auch in der größten Düsternis im Brio, spielt schlank, aber doch farbensatt dunkelschön, mit lichtem Holzbläsersatz als Klangbalance­knackpunkt.
Hier regiert der Tod. Der eines erdrückenden, sich der katholischen Kirche unterwerfenden habsburgischen Absolutismus, aber auch der eines freundlosen Franco-Faschismus. Ja sogar, nur wenige Regiedetails von Lydia Steier deuten es an, der der Ex-DDR wie eines heute die orthodoxen Klerikalen miteinbeziehenden Putin-Stalinismus.
König Philipp II. (ungewöhnlich scharf: Dmitry Ulyanov) feiert im Autodafé mit Propagandafilmen Personenkult. Elisabeth (die lyrische, ein wenig farblose Rachel Willis-Sørensen) ist schwanger, zerrissen zwischen Neigung und Pflicht, zusätzlich verwirrt durch die manipulative Prinzessin Eboli (flammend: Eve-Maud Hubeaux). Ruhende Baritoninsel bleibt der Posa des wohlgerundeten Stéphane Degout, während der unruhige Thronerbe Don Carlos doch mehr Latino als französischer Tenor ist: Charles Castronovo.

Manuel Brug, 04.11.2023, RONDO Ausgabe 5 / 2023



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