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N° 1355
27.04. - 03.05.2024

nächste Aktualisierung
am 04.05.2024



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Christian Thielemann (c) Matthias Creutziger

475 Jahre Sächsische Staatskapelle Dresden

Seidig gesponnen

Die „Wunderharfe“ verwundert immer noch: Aufnahmen aus 100 Jahren mit dem Orchester lassen keinen der Chefs vermissen.

„Die Staatskapelle Dresden – oder vornehmer: die Sächsische Staatskapelle Dresden – ist etwas Besonderes, das lässt sich auch heute noch unmittelbar verstehen. Hier wird feiner gefaltet, seidiger gesponnen und mehr gezaubert als anderswo. Wagner, der hier Hofkapellmeister war, nannte das Orchester bekanntlich seine „Wunderharfe“. Er hat Recht. Einfacher ausgedrückt: Dieses Orchester kann überhaupt nicht zu laut oder gar brachial werden. Ein höheres Lob lässt sich grundsätzlich kaum finden.
Liebevoll, ja zärtlich besinnt man sich in Dresden denn auch auf die 475 Jahre zurück, die dieses Orchester schon besteht. Man hat nicht übersehen, dass parallel dazu gerade 100 Jahre Aufnahme-Geschichte angefallen sind. Die 10-CD-Box mit exemplarischen Einspielungen und Mitschnitten seit 1923 lässt fast keinen Chefdirigenten aus. Nicht mal Mitläufer wie Karl Böhm oder NSDAP-Mitglieder wie Karl Elmendorff. Nur der offenbar zu kurz da gewesene Lovro von Matačić wurde übersprungen. Dafür sind auch blässlichere Stelleninhaber wie Martin Turnovský, Hans Vonk und Fabio Luisi getreulich vertreten. Die Dresdner, sie vergessen nichts.
Wichtigster Repertoire-Schwerpunkt: Richard Strauss. Als Gastdirigent ist er sogar selbst vertreten mit einem „Don Quixote“. Der betreffende Mitschnitt aus London (1936) lohnt allein schon die ganze Anschaffung. Und zwar deswegen, weil man die Kunst nacherleben kann, „Fünfe gerade sein zu lassen“. Strauss war offenbar kein Pedant bei dieser auf „19 erwärmten Wachsplatten“ aufgezeichneten Abendleistung. Ein Solist ist nicht angegeben.
Ganz erstaunlich, immer noch, welche Organik, Flüssigkeit, ja Lässigkeit der Dirigent Fritz Busch mit den Dresdnern evozieren konnte. In Verdis Ouvertüre zur „Macht des Schicksals“ (1926) wird er gar nicht übermäßig knackig oder aggressiv, wie man das heute kennt. Umso bestrickender, unheroisch charmanter bleibt er auf dem Boden.
Rudolf Kempe ist mit der „Rosenkavalier“-Einleitung und Daphnes Verwandlung mit von der Partie. Franz Konwitschny dirigiert „Till Eulenspiegel“, Otmar Suitner Mozart und Smetana. Von Herbert Blomstedt gibt es eine erstaunlich spontan wirkende Vierte von Bruckner und das „Te Deum“ von Johann Gottlieb Naumann (mit dem Chor der Sächsischen Staatsoper Dresden, 1980 im Kulturpalast). Andere, verdiente Chefs wie Giuseppe Sinopoli (mit Brahms II) und Sir Colin Davis (Elgar I) werden hingegen mit weniger zwingenden Werken abgefunden.
Die Auswahl endet mit einer Wagner-CD unter Christian Thielemann („Das Liebesmahl der Apostel“, „Götterdämmerung“-Ausschnitte mit Anja Kampe). Ein Schelm, der Böses dabei denkt (und Zwietracht wittert). Letztendlich fungieren die vom Deutschen Rundfunkarchiv kommenden, im dicken Booklet aufwendig begleiteten Einspielungen als Fingerzeig auf die größten Leistungen dieses Orchesters; so etwa auf den integralen Strauss-Zyklus unter Kempe (Warner), die frühen Aufnahmen von Karl Böhm und noch mehr von Fritz Busch (Profil). Die „Wunderharfe“, sie macht immer noch verwundern. Und steht einzig da.

Neu erschienen:

Richard Strauss, Giuseppe Verdi, Richard Wagner, Johannes Brahms, Wolfgang Amadeus Mozart, Bedřich Smetana u.a.

475 Jahre Sächsische Staatskapelle Dresden

Sächsische Staatskapelle Dresden

10 CDs, Profil Medien

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Kai Luehrs-Kaiser, 14.10.2023, RONDO Ausgabe 5 / 2023



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