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N° 1355
27.04. - 03.05.2024

nächste Aktualisierung
am 04.05.2024



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(c) Christoph Köstlin

Miloš Karadaglić

Ein Spiel mit Licht und Schatten

Der Gitarrist präsentiert mit dem Album „Baroque“ einen fein austarierten Mix von barocken Meisterwerken.

Seinen Durchbruch erlebte der aus Montenegro stammende Miloš Karadaglić 2011 bereits mit seinem Debüt-Album „Mediterráneo“, das sich schier unglaubliche 28 Wochen in den britischen Klassik-Charts hielt. Weitere Superlative schmücken seine Karriere: Miloš Karadaglić, kurz Miloš war der erste klassische Gitarrist, der die riesige Londoner Royal Albert Hall mit einem Solo-Recital füllte, von seinen bislang sechs Studioalben – darunter das den ­Beatles gewidmete Album „Blackbird“ – hat Miloš über eine halbe Million Alben verkauft, er kassierte unter anderem einen Classic BRIT Award, einen Echo Klassik und zwei Gramophone Awards, zudem arbeitet er auch als Moderator und hat eine Reihe von Lehrbüchern herausgebracht. Ein Tausendsassa also, der zuletzt allerdings wegen einer längeren Hand-Erkrankung am Spielen gehindert war.
Sein Debüt-Album bei neuem Label markiert daher einen Neuanfang in doppeltem Sinne, der womöglich nicht zufällig zurückgeht in die musi­kalische Blütezeit des Barock. Vierzehn Meisterwerke dieser Epoche hat er dafür erstmals für die Gitarre adaptieren lassen. Beim Zoom-Call sitzt Miloš in einem Hotelzimmer in Österreich in der Nähe von Klagenfurt.

RONDO: Wie haben Sie die Werke für dieses Album ausgewählt?
Miloš Karadaglić: Das war ein langer Prozess: Ich liebe dieses Repertoire und habe immer schon in meiner Freizeit viel Barockmusik gehört. Es gibt bislang aber nur wenige Transkriptionen für die klassische Gitarre. Deshalb habe ich mich lange und ernsthaft damit beschäftigt, das Gitarren-Repertoire um barocke Werke zu erweitern. Manche Transkriptionen haben aber einfach nicht funktioniert, aber die, die nun übriggeblieben sind, funktionieren wunderbar.

Wie entscheiden Sie, was funktioniert und was nicht?
Die wichtigsten Fragen bei Transkriptionen sind: Bin ich mit der Bearbeitung in der Lage, dem Original eine neue Dimension hinzuzufügen, und die nächste Frage ist, bereichert diese Transkription das Instrument? Und wenn weder das eine noch das andere gegeben ist, wird eine Bearbeitung zum bloßen Kompromiss, dann ist es nicht wert, eine Transkription zu machen.

Die klassische Gitarre ist aber angewiesen auf Transkriptionen, oder?
Das liegt in der Natur des Instruments.

Wie kam Bachs Chaconne auf die Liste?
Bach wollte ich eigentlich auslassen und mir die Chaconne aufheben für ein exklusives Bach-Projekt. Aber die Liste der Werke wuchs und als ich nach rechts und links blickte, merkte ich irgendwann: Was fehlt, ist Bach! Damit hatte das Projekt dann die Erdung, sein Zentrum.

Ist die „Chaconne“ die größte Herausforderung dieser Sammlung?
Nein, die habe ich seit langer Zeit in meinen Fingern. Natürlich ist die Chaconne das ultimative Solo-Stück, es gibt nichts, das komplexer und tiefgreifender ist, ein ikonisches Werk. Herausfordernder aber war, das Vivaldi-Konzert für vier Soloviolinen in einen Gitarrenpart zu verwandeln. Aber generell: Mit diesem Album fühlte ich mich eigentlich nicht herausgefordert, sondern eher inspiriert! Das ist ein großer Unterschied.

Sie haben an anderer Stelle gesagt, Sie wollten für die klassische Gitarre eine neue Tür öffnen und die barocke Stimme des Instruments entdecken. Wie würden Sie diese Stimme näher beschreiben?
In der Barockzeit gab es die heutige Gitarre noch nicht, das am nächsten stehende Instrument ist nicht die barocke Gitarre, sondern tatsächlich die Laute. Die beiden sind aber nicht Bruder und Schwester, sondern eher Cousins. Aber ich denke, die Gitarre von heute wäre sehr interessant gewesen für barocke Komponisten. Ich hoffe, ich schließe mit diesem Album eine Lücke …

Sie verstehen Barockmusik als ein Spiel mit Licht und Schatten, ist das ein romantisches Bild?
Barocke Musik ist so komplex, sie reicht von schwindelfreier Virtuosität über höchste Expression bis hin zu meditativer Stille. Ich bin ein großer Fan der barocken Oper, ich liebe dieses Spiel mit Kontrasten, es entspricht meinem Temperament, meiner Natur, ich bin kein Mensch der Mitte. Ich bin Südeuropäer!

Also ein dramatisches Spiel von Licht und Schatten, wie etwa beim barocken Meister-Maler Caravaggio?
Genau so, wie bei ihm und allen anderen Malern dieses Stils.

Zurück zu den Wurzeln, können Sie sich an Ihren ersten Kontakt mit klassischer Musik erinnern?
Allerdings! Ich spielte bereits Gitarre, aber eher aus Spaß, ich klimperte Songs, einfach so. In Montenegro gab es damals eigentlich gar keine Klassik wir waren ein isoliertes Land. Aber dann hatte mein Vater eine Platte mit Andrés Segovia, ein spanisches Recital. Es war das Schönste, was ich je gehört hatte, es veränderte mein Leben!

Diese eine Platte?
Ja, ich wollte Unterricht und war schnell in der Lage, einiges von dieser Platte selbst zu spielen. Aber die Musik und die Gitarre haben mich gefunden, nicht umgekehrt.

Und wann stand fest, dass Sie die Gitarre zum Beruf machen?
Ich habe mich auf der Gitarre schnell verbessert und war ansonsten sehr gut in der Schule. Als ich aber meinem Vater sagte, dass ich auf die Art School will, waren alle geschockt! 1996 war Montenegro nicht gerade bekannt für seine Weltklasse-Künstler! Meine Eltern haben mich trotzdem unterstützt, Ich habe hart gearbeitet, and here we are!

Wie haben Sie 2011 ihren Durchbruch erlebt?
Das war mit mediterranem Repertoire, das damals nicht sehr präsent war. Damit begann eine tolle Phase der klassischen Gitarre, sie war plötzlich überall. Es war eine aufregende Zeit für mich, es kamen große Konzerte, ich habe mein Repertoire in eine populärere Richtung geweitet und ein großes Publikum erreicht. Ich habe mich immer gefragt: wie weit kann ich gehen? Zurückkehren kann man immer.

Haben Sie neben Segovia noch andere Vorbilder?
Ich bin sehr verliebt in die Oper, habe immer auch selbst gesungen und will auch mit der Gitarre eigentlich singen. Die großen Sänger inspirieren mich, wie Fischer-Dieskau, Pavarotti, Wunderlich, Barbara Bonney, Kath­leen Battle, die Gheorghiu und die Callas. Und auf der Gitarre ist es neben Segovia auch John Williams! Er ist ein Gitarrengott!

Neu erschienen:

Jean-Philippe Rameau, Georg Friedrich Händel, Antonio Vivaldi, Johann Sebastian Bach, Benedetto Marcello u.a.

„Baroque“ – Bearbeitungen für Gitarre

Miloš Karadaglić, Arcangelo, Jonathan Cohen

Sony

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Regine Müller, 14.10.2023, RONDO Ausgabe 5 / 2023



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