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N° 1355
27.04. - 03.05.2024

nächste Aktualisierung
am 04.05.2024



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(c) Uwe Arens

Martin Stadtfeld

Bach, Händel und die anderen

Auf dem Album „Baroque Colours“ zeigt der Pianist die Vielfalt der europäischen Barockmusik.

Wenn deutsche Pianisten Barockwerke für Konzerte oder Aufnahmen auf dem modernen Flügel auswählen, dann greifen sie zuerst zu Werken von Johann Sebastian Bach oder den Sonaten von Domenico Scarlatti, bestenfalls findet mal als Exkurs eine von Georg Friedrich Händels Suiten auf ihre Recital-Programme. Dass auch die Franzosen herausragende Barockkomponisten haben, man denke nur an Jean-Philippe Rameau oder François Couperin, wird von den meisten Pianisten hierzulande weitgehend ignoriert, auch Stücke italienischer Meister wie Girolamo Frescobaldi schaffen es nicht in die Programme der Klavierabende.
Für den Pianisten Martin Stadtfeld hat Barockmusik immer eine große Rolle gespielt. Seine Karriere kam durch den Sieg beim Leipziger Bach-Wettbewerb so richtig ins Rollen. Er hat jedoch auch erkannt, dass man die barocke Klaviermusik nicht zu sehr auf Bach beschränken sollte. Deshalb hat er nun ein Doppel-Album aufgenommen, das berühmte Werke von J.S. Bach und Domenico Scarlatti mit Werken weniger bekannter Meister aus dem Barock und der Vorklassik vereint. „Baroque Colours“ heißt es, und es bietet eine vielfarbige musikalische Reise durch die europäische Musiklandschaft des 17. und 18. Jahrhunderts. „Ob Baldassare Galuppi oder Pancrace Royer: Bei meiner Recherche musste ich feststellen, dass für mich viele Namen neu waren“, räumt Stadtfeld ein. Ihm war es wichtig, nicht nur deutsche, italienische und französische Werke für das Album auszuwählen, sondern zu zeigen, dass es auch spanische Barockkomponisten gab, die herausragende Werke geschrieben haben. „Es ist gar nicht so einfach, spanische Barockmusik außerhalb von Vokalmusik zu finden“, beschreibt der Pianist seine Suche. „ich war froh, dass ich diesen schönen Canario für Gitarre von Gaspar Sanz gefunden habe, der ja wirklich auch ein schönes Kolorit hat.“ Er entschied sich bewusst dafür, keine kompletten Sonaten oder Suiten einzuspielen, sondern Einzelsätze miteinander zu kombinieren. Auf diese Weise konnte er mehr Komponisten unterbringen, um ein breiteres Spektrum der Barockmusik zu zeigen.

Aller guten Dinge

Das Album besteht aus drei Teilen. Teil I umfasst originale Solowerke für Cembalo, hier finden sich sowohl Stücke der bekannten Komponisten wie Johann Sebastian Bach, Georg Friedrich Händel, Domenico Scarlatti, François Couperin und Jean-Philippe Rameau, die von Stadtfeld auf einem modernen Flügel interpretiert werden, aber auch Raritäten von weniger bekannten Namen wie Joachim Kuhnau, Baldassare Galuppi, Antonio Soler, Joseph-Nicolas-Pancrace Royer und Melchior Vulpius. Diese Künstler mögen weniger berühmt sein, haben aber dennoch bedeutende Werke hinterlassen. Der Teil II des Albums versammelt überwiegend zwar sehr populäre Stücke, die Martin Stadtfeld aber neu für das Klavier arrangiert hat. Werke wie Antonio Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ und Johann Pachelbels berühmter „Kanon“ präsentieren sich durch die Bearbeitung für Klavier in einem gänzlich neuen Klanggewand, in zwei Stücken ist der Wahlruhrpottler – Stadtfeld lebt seit einigen Jahren in Herne-Wanne – sogar beim vierhändigen Spiel mit der armenischen Pianistin Lilian Akopova zu erleben, mit der er seit zwei Jahren zusammen Klavierduo spielt. In Teil III präsentiert sich Stadtfeld dann als Improvisator, der über bekannte Themen von Bach und Händel fantasiert, aber auch über Stücke von weniger berühmten Komponisten wie Joachim Kuhnau und Melchior Vulpius.

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Eine der Entdeckungen, die Stadtfeld bei der Recherche zu den Werken für das Album gemacht hat, waren die Klavierwerke des deutschen Komponisten Joachim Kuhnau (1660-1722). Der war vor Bach Thomaskantor in Leipzig und spielte eine wichtige Rolle in der Entwicklung der Barockmusik. Seine Bedeutung für die Klaviermusik liegt vor allem in seinen „Biblischen Sonaten“, einer Sammlung von Werken, die als Vorläufer der klassischen Sonatenform gelten. Diese Stücke sind von dramatischem Ausdruck und zeichnen sich durch ihre Erzählkraft aus, wobei sie biblische Geschichten musikalisch darstellen. Wie später auch Bach fasste Kuhnau eine Reihe von Stücken unter der Bezeichnung „Clavier-Übung“ zusammen. Kuhnau nannte sie „Neue Clavier-Übung“, er schrieb einen „Ersten Theil“ und einen „Anderen Theil“. Stadtfeld wählte die „Partie V“ aus dem „Ersten Theil“ für sein Album aus.
Zu den bedeutendsten Barockkomponisten Frankreichs gehört François Couperin. Er schrieb nicht nur über 240 Cembalowerke, sondern war auch ein wichtiger Musiktheoretiker zu seiner Zeit. „L’art de toucher le clavecin“ (Die Kunst das Cembalo zu spielen) heißt sein wichtigstes musikpädagogisches Traktat, es enthält auch acht Préludes, Nr. 7 spielte Stadtfeld für sein Album ein. Einen Großteil seiner Werke für Tasteninstrumente nannte Couperin lapidar „Pièces de clavecin“. Sie bestehen aus 27 Suiten, die Couperin jedoch „ordre“ (Ordnung) nennt. Einer der bekanntesten Sätze aus den „Pièces“ ist „Les barricades mystérieuses“ (Geheimnisvolle Barrikaden), die als zweites Stück von Couperin aufs Album fanden. Ein weiterer großer Name aus Frankreich ist Jean-Baptiste Lully, der als Komponist und Kapellmeister am Hofe Ludwig XIV. wirkte. Von ihm sind leider keine Originalwerke für Tasteninstrumente überliefert, weshalb Stadtfeld kurzerhand eine Passacaglia aus Lullys Oper „Armide“ für Klavier zu vier Händen bearbeitete.
Kommen wir zum Klang der Aufnahmen. Viele Klaviereinspielungen von Barockmusik sind eher auf Klarheit und Brillanz gebürstet, Stadtfelds neues Album überrascht hingegen mit einem warmen weichen Klavierton. Man glaubt einen Blüthner- oder Bösendorfer-Flügel zu hören, doch tatsächlich kam ein Steinway-Instrument zum Einsatz. „Wir haben für diese Aufnahmen eine völlig unübliche Klangeinstellung gewählt“, erklärt Stadtfeld. „Normalerweise verwendet man bei einer Klavier-Aufnahme ja ein Hauptmikrofon, das ein paar Meter vom Instrument entfernt ist. Dieses Mikro hat den Hauptanteil am Gesamtklang, dazu kommen die Stützmikrofone, die dicht am Instrument angebracht werden. Dann gibt es vielleicht noch ein Saalmikro, aber das ist nur für die klangliche Beimischung gedacht. Wir haben nun im Prinzip nur Stützmikrofone genommen und eben ein bisschen Klangbeimischung aus dem Raum. Dadurch dass wir ohne Hauptmikrofon gearbeitet haben, entstand ein ganz intimer Klang, der dicht an den Seiten abgenommen wurde.“ Insofern zeigt Martin Stadtfeld auf seinem Album auch, dass barocke Klavieraufnahmen nicht notwendigerweise monochrom und brillant, sondern auch farbig und warm und vielfältig klingen dürfen. So vielfältig wie die barocke Epoche in Europa war.

Neu erschienen:

Joachim Kuhnau, François Couperin, Domenico Scarlatti, Jean-Philippe Rameau, Baldassare Galuppi u.a.

„Baroque Colours“

Martin Stadtfeld, Lilian Akopova

Sony

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Mario-Felix Vogt, 28.10.2023, RONDO Ausgabe 5 / 2023



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