home

N° 1355
27.04. - 03.05.2024

nächste Aktualisierung
am 04.05.2024



Startseite · Oper & Konzert · Pasticcio

Impulsiv, nicht nur am Pult: John Eliot Gardiner (80) hat in Frankreich einen Sänger hinter der Bühne geohrfeigt © Richard Termine

Pasticcio

Abgang mit Folgen

Die Musikgeschichte ist voller Anekdoten über das spannungsgeladene Verhältnis zwischen Dirigenten und Sängerstars. Schon ein Händel drohte seiner Primadonna La Cuzzoni, sie aus dem Fenster zu werfen, wenn sie nicht eine Arie so sänge, wie er es sich vorstelle. Bei einer Probe des „Tristan“ in Wien lief wiederum Gustav Mahler angesichts des Rumhampelns seines Tenors Eric Schmedes rot an. „Was soll das alles?“, blaffte Mahler ihn an. „Lassen Sie die ganzen Gestikulationen und singen Sie einfach im Takt: eins-zwei-drei, ein-zwei-drei.“ Dirigenten sind auch nur fehlbare Menschen. Besonders, wenn sie eben bei den letzten Vorbereitungen einer Oper oder eines Konzerts unter Starkstrom stehen. Ist die Premiere aber mindestens unfallfrei über die Bühne gegangen, haben sich beim Schlussapplaus und hinter der Bühne alle wieder lieb. Dachte man bisher. Denn ausgerechnet bei einem enorm erfahrenen, immer so gentleman-like wirkenden Dirigenten sind jetzt die Nerven wegen einer Banalität durchgegangen. Ort des handfesten Skandals war das Berlioz-Festival im französischen La Côte-Saint-André. Kein Geringerer als Sir John Eliot Gardiner brachte mit seinem Orchestre Révolutionnaire et Romantique und dem Monteverdi Choir Berlioz‘ Oper „Les Troyens“ zur Aufführung. Doch dann passierte es: Der junge Bass William Thomas ging auf der falschen Seite von der Bühne ab. Was Gardiner irgendwie gar nicht gefiel. Und so scheuerte er dafür dem jungen Sänger eine – vor versammeltem Ensemble.
Was den 80-jährigen Dirigenten dazu gebracht haben könnte, kann auch er sich nicht erklären. Jedenfalls hat er sich sofort in aller Öffentlichkeit entschuldigt. Es gebe keine Rechtfertigungen für sein Verhalten. Auch bei William Thomas, „für den ich höchsten Respekt empfinde“, habe er für sein Verhalten bereits um Verzeihung gebeten. Dass war aber nicht Gardiners einzige Reaktion. So hat er sein Dirigat für alle weiteren konzertanten Aufführungen der Oper u.a. bei den Salzburger Festspielen abgesagt und seinem Assistenten Dinis Sousa übertragen. „Ich weiß, dass körperliche Gewalt nie akzeptabel ist, und dass sich Musiker immer sicher fühlen sollten“, so Gardiner in seiner Stellungnahme. Stimmt. Mit dieser Erkenntnis sollte man es vorerst auch bewenden lassen.

Guido Fischer



Kommentare

Kommentar posten

Für diesen Artikel gibt es noch keine Kommentare.


Das könnte Sie auch interessieren

Pasticcio

Retourschein für Danaer-Geschenk?

Normalerweise sollte eine Stadt, die nach dem berühmten Slogan ihres Ex-OB stolz auf ihr „Arm, […]
zum Artikel

Pasticcio

Klasse statt Masse

Natürlich gibt es sie immer noch – die Talentscouts, die sofort zuschnappen, wenn ein junger […]
zum Artikel

Gefragt

Lea Desandre

Schnurrende Kratzbürste

Nicht zu nerdig oder zu nervös: die französische Mezzosopranistin freut sich über ihr erstes […]
zum Artikel


CD zum Sonntag

Ihre Wochenempfehlung der RONDO-Redaktion

Externer Inhalt - Spotify

An dieser Stelle finden Sie Inhalte eines Drittanbieters, die Sie mit einem Klick anzeigen lassen können.

Mit dem Laden des Audioplayers können personenbezogene Daten an den Dienst Spotify übermittelt werden. Mehr Informationen finden Sie in unseren Datenschutzbestimmungen.

Das Klavierquartett c-Moll des 19-jährigen Strauss war ein Geniestreich, der sofort als solcher erkannt wurde. Komponiert 1883/84, zwischen der ersten Sinfonie und der „Burleske“ für Klavier und Orchester, gilt es als Höhepunkt der Auseinandersetzung mit Brahms und den Formen der klassisch-romantischen Instrumentalmusik.

Aus einer viel späteren Schaffensphase, nämlich den letzten Kriegsmonaten 1945, stammen die „Metamorphosen für 23 Solostreicher“. Zu jener Zeit arbeitete […] mehr


Abo

Top