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N° 1355
27.04. - 03.05.2024

nächste Aktualisierung
am 04.05.2024



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(c) Martin Jehnichen

The Playfords

Vitaminstoß nach Renaissance-Rezeptur

Mit Tanzmusik aus dem 16. Jahrhundert sorgt das Early-Music-Folk-Ensemble auf seinem neuen Album für gute Laune und Kribbeln in den Beinen.

In kulinarischer Hinsicht macht den Playfords niemand etwas vor. Daran lässt schon das humorvolle Fotoshooting zu „Garlic & Onions – The Glory Of The Kitchen“ keinen Zweifel, wo sich Thüringens Spezialisten für die Tanzmusik des 16. und 17. Jahrhunderts um einen dampfenden Kochtopf scharen und inspiriert davon ihre Instrumente plötzlich gegen Kochlöffel, Küchenreibe, Lauchzwiebeln oder einen zweckentfremdeten Schinken tauschen.
Ähnlich deftig geht es auch in den Liedern zu, die das Ensemble für sein jüngstes Programm ausgewählt hat und das vergangenen Herbst schon beim hauseigenen „Playground Festival“ in Weimar für Begeisterung beim Publikum sorgte. Fündig geworden ist die Truppe dabei natürlich wieder einmal in der berühmten Notensammlung „The English Dancing Master“ ihres Namensgebers John Playford. Womit sich gewissermaßen ein Kreis schließt. Trug das erste Album mit ähnlichem Repertoire doch einst den Titel „Oranges & Lemons“. Eine Parallele, die sich laut dem Sänger der Band Björn Werner eher zufällig ergeben hat. „Entstanden ist das neue Programm tatsächlich vor allem durch eine Anfrage des Lausitzer Kultursommers. Denn eigentlich wollten wir so etwas in die Richtung ‚Chocolate & Whiskey‘ machen, weil wir von Freunden und Fans nach dem ersten Programm oft Zitronenstäbchen oder Orangen-Kaugummi geschenkt bekommen haben. Mal sehen, was wir jetzt bekommen.“
Herausgekommen ist auch diesmal wieder ein Projekt für alle Sinne. Denn zwischen den Songs und Tanzweisen, die allesamt um leibliche Genüsse kreisen, finden sich im Booklet auch authentische Rezepte aus dem 16. Jahrhundert, für die Björn Werner mehrere alte Kochbücher durchforstet hat. „Was da früher gekocht wurde, war schon abenteuerlich. Und als wir das bei den Live-Konzerten vorgelesen haben, hatte das Publikum danach solchen Hunger, dass wir auf die Idee gekommen sind, dass wir dazu auf der Bühne gleich auch eine Suppe kochen könnten. Da hat den Leuten auch die Musik gleich nochmal besser gefallen.“
Dafür muss man beim reinen Hören des Albums leider verzichten. Aber auch die auf das Album gebannten Stücke erfüllen als akustische Genussmittel durchaus ihren Zweck. Mit Liedern, die von Tabak und Alkohol geschwängert sind. Ebenso wie von einst exotischen Gewürzen wie Muskat und Ingwer. Und auch der Apfel als Symbol der Verführung hat bei den teils zweideutigen Texten natürlich seinen Platz. Wie oft bei den Playfords ist auch „Garlic & Onions“ ein Album, dessen Playlist nicht am Reißbrett konzipiert wurde, sondern über mehrere Live-Auftritte hinweg wachsen konnte, ehe das Quintett gemeinsam mit Barockgeigerin Claudia Mende ins Studio ging. „Die Auswahl der Stücke ist bei uns immer ein langwieriger Prozess, weil wir uns zusammensetzen und ein großes Spektrum ausprobieren.“ Dies hängt auch mit der Playford-Sammlung zusammen, die zwar Melodien und Tanzschritte enthält, aber aufgrund der fehlenden Harmonien immer wieder neu arrangiert werden muss.

Erfahrung im Abschmecken

„The English Dancing Master“, der 1651 erstmals erschien und bis 1728 achtzehn Neuauflagen erlebte, war damals durchaus kommerziell angelegt und enthielt vor allem die großen „Hits“ der damaligen Zeit, die auch heute ihre Wirkung nicht verfehlen. „Natürlich wollen auch wir möglichst viele Menschen mit unserer Musik erreichen. Aber die Kunst ist oft ein Spagat. Deshalb gibt es neben den populären Stücken auch einiges, das im Programm ist, weil wir es unbedingt machen wollen. Da muss man sich auch selbst treu bleiben. Und das Publikum ist oft wissender als man vielleicht im ersten Moment denkt. Da haben wir nach den Auftritten immer wieder interessante Gespräche mit Fans, die nachfragen und mehr über die Stücke erfahren wollen.“
In den rund zwei Jahrzehnten ihres Bestehens haben sich die Playfords durch internationale Gastspiele zwischen Mailand und Utrecht und Abstecher in die Berliner Philharmonie eine durchaus beachtliche Fangemeinde herangezogen, die dann beim jährlichen „Play­ground Festival“ auch zu Hause in Weimar mit ihnen zusammen feiert. Wo es rund um die regulären Konzerte immer wieder auch Tanzkurse und kleine Jamsessions gibt, bei denen das Mitmachen explizit erwünscht ist.
Auch dies ist eine Rückbesinnung auf die Wurzeln des Ensembles, das seinen ersten Auftritt bei der Erfurter Tanzgilde absolvierte, für den Melodien aus Playfords „Dancing Master“ einstudiert wurden. Und als klar war, dass es nach dieser Initialzündung weitergehen sollte, war so der Name schnell gefunden. „Im Mittelpunkt steht bei uns die Tanzbarkeit. Selbst wenn wir Musik spielen, die nicht aus Playfords Bänden stammt, schwingt das immer mit.“ Denn weil Tänze oft mehrere Durchgänge haben, ist hier besonders das improvisatorische Element gefragt, um den teils einfachen Melodien den gewissen Extra-Kick zu geben. Diese freie Herangehensweise ist für Björn Werner einer der Gründe, für die anhaltende Popularität der Barockmusik. „Es hat für mich etwas Zeitloses. Gerade weil nicht alles ausgeschrieben ist und es quasi um die Urkräfte der Musik geht. Da braucht es Respekt vor dem Notenmaterial, ohne ein Museumsstück daraus zu machen. Aber wenn man sich manche Popnummern anhört, entdeckt man ähnliche Stellschrauben wie vor 500 Jahren. Da hat sich nicht viel geändert.“
Und so passt es, dass neben Komponisten des 16. Jahrhunderts wie Thomas Campion und Tobias Hume ausgerechnet der für den Titel des Albums verantwortliche Song aus der Feder des deutschen Folk-Sängers Tim Liebert stammt. „Das verdanken wir einem Kontakt unserer Flötistin Annegret Fischer, die ihn über seinen befreundeten Kollegen Josa aus der Folk­szene kennt und der eigens für die Playfords diese Melodie „Garlic & Onions“ geschrieben hat.“ Das gehört ebenfalls zur Arbeitsweise der Playfords. Dass wir nicht nur bei den Arrangements zu neuen Mitteln greifen, sondern uns auch mit modernen Zitaten nicht zurückhalten.“ Ein spannender Brückenschlag zwischen den Epochen.

Neu erschienen:

Garlic & Onions

The Playfords

dhm/Sony

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Tobias Hell, 09.09.2023, RONDO Ausgabe 4 / 2023



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