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N° 1298
25. - 31.03.2023

nächste Aktualisierung
am 01.04.2023



Startseite · Interview · Gefragt

(c) Mat Hennek

Hélène Grimaud

The Sound of Silence

Die Pianistin liebt seit langem die Musik von Valentin Silvestrov. Nun hat sie mit Konstantin Krimmel seine „Stillen Lieder“ eingespielt.

Vor 15 Jahren bekam Hélène Grimaud eine Aufnahme von Valentin Silvestrovs „Stillen Liedern“ als Geburtstagsgeschenk überreicht. Seit jener Zeit haben sie die Werke des ukrainischen Komponisten nicht mehr losgelassen: „Ich finde diese Musik sehr anrührend in ihrer Aufrichtigkeit und Transparenz“, schwärmt die französische Star-Pianistin. „Sie ist sehr poetisch und versucht nie, etwas zu sein, das sie nicht ist.“ Nachdem sie Silvestrovs Lieder so in ihren Bann gezogen hatten, beschäftigte sich Grimaud auch mit seinen Klavierwerken und nahm 2019 das Album „Messenger“ auf, das Klavierwerke von Wolfgang Amadeus Mozart jenen von Silvestrov gegenüberstellte. Letzten Sommer dann begab sie sich mit dem mehrfach ausgezeichneten jungen Bariton Konstantin Krimmel an den bei Berlin gelegenen Stienitzsee, um dort im Rahmen eines Konzerts eine Auswahl von zwölf „Stillen Liedern“ aufzunehmen.
Der Zyklus, entstanden in den Jahren 1974 bis 1977, stellt einen wichtigen Teil von Silvestrovs Schaffen dar. Zugleich hat er eine anhaltende Kontroverse ausgelöst, denn der Komponist wählte für die „Stillen Lieder“ eine sehr traditionsorientierte Schreibweise. Kritisiert wurde dies vor allem, da er als bedeutender Vertreter der damaligen „sowjetischen Avantgarde“ galt. Silvestrov selbst beschreibt die Arbeit als „Fortsetzung der avantgardistischen Bewegung“, die sich „in ihrer früheren Form größtenteils selbst erschöpft habe“.
Tatsächlich haben die „Stillen Lieder“ stilistisch mehr Berührungspunkte mit Franz Schuberts „Winterreise“ als etwa mit Liederzyklen der Zweiten Wiener Schule. Denn Silvestrov schrieb sie in einem neoromantischen Stil, der neben Schubert auch Einflüsse von Peter Iljitsch Tschaikowski und Michail Glinka zeigt, und in dem die Melodik eine besondere Rolle spielt. Diese soll vom Begleitinstrument, sprich dem Klavier, nur umhüllt werden. Bei der Interpretation von romantischen Werken ist eine durchdachte agogische Gestaltung von hoher Bedeutung, diese wollte Silvestrov jedoch nicht dem Interpreten überlassen, weshalb er jede Fermate, jede agogische Schwankung und jeden Nachklang über die angegebene Notenlänge hinaus detailliert ausnotierte.
Silvestrov charakterisiert die „Stillen Lieder“ als „vertontes Schweigen“, damit korrespondieren die langsamen Tempi der Lieder, die sich zwischen Largo und Moderato bewegen, sowie die sich zumeist zwischen Pianissimo und Mezzopiano bewegende Dynamik, die scharfe Kontraste vermeidet. Die Grundlage für den Zyklus bilden Gedichte der literarischen Größen Russlands wie Alexander Puschkin, Michail Lermontow, Wassili Schukowski und Ossip Mandelstam, hinzu kommen Texte des ukrainischen Dichters Taras Schewtschenko auf Ukrainisch sowie die von Silvestrov bewunderten englischen Romantiker John Keats und Percy Bysshe Shelley in russischer Übersetzung. Konstantin Krimmel und Hélène Grimaud interpretieren diese emotional berührende Musik sehr ausdrucksstark, dabei überzeugen Krimmels he­rausragende Artikulation und farblichen Differenzierungen ebenso wie Grimauds klangschöne Begleitung.

Erscheint am 3. März:

Valentin Silvestrov

„Silent Songs“

Hélène Grimaud, Konstantin Krimmel

DG/Universal

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Mario-Felix Vogt, 25.02.2023, RONDO Ausgabe 1 / 2023



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