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Cyprien Katsaris (c) Jean-Baptiste Millot
Der Pariser Pianist, Komponist, Philosoph, Archivar, Musikclown, Zeitreisende und Scientologe Cyprien Katsaris, der sein eignes Label unterhält, hat, als Nachtrag zum früh vollendeten Beethovenjahr, auf einem wundervoll rund und satt tönenden Bechsteinflügel noch einmal hochvirtuos die ganze musikalische Laufbahn Beethovens nachgezeichnet:
„Beethoven. A chronological Odyssey“ heißt diese sensationelle 6-CD-Box (Piano21/Naxos). Man findet hier alles, was ansonsten gern unterschlagen wird, in Originalkompositionen oder Bearbeitungen. Neben dem Großen (op. 111) steht das Kleinliche („Ritterballett“), neben dem Heißgeliebten („Moonlight“) das Missverstandene (zum Beispiel Richard Wagners Klavierfassung des Adagio aus der Neunten), neben dem Grenzensprengenden (op. 77) auch Missratenes, etwa die passagenwütigen Variationen WoO 80, die Beethoven, als er sie zufällig einmal spielen hörte, nicht wieder erkannte und, als er hörte, das sei von ihm selbst, rief: „Oh Beethoven, was für ein Esel bist du gewesen!“
Piano 21
Musik kann nicht nur rezeptfrei den Blutdruck senken, sie bringt auch hormonelle Botenstoffe auf Trab. Einerseits rhythmisch, im Rock’n’Roll, wie jeder weiß, seit Ian Drury. Andererseits melodisch, denn auch das Kunstlied steckt voller Sex, weit mehr und auch weit schmutziger, als es sich in seiner kultivierten Hochgeschlossenheit anmerken lässt. „Dirty Minds“ haben die Mezzosopranistin Olivia Vermeulen und der Pianist Jan Philip Schulze ihr Liederalbum über die Liebe genannt (Challenge Classics/NAI). Einmal quer durch die Musikgeschichte werden Veilchen zertreten, Heideröschen vergewaltigt, Aale gefangen, Kätzchen gestreichelt und nach gewissen Dingern verlangt. Oft ist Doppelmoral am Werk, versteckt in blumigen Metaphern und musikalisch unverschämt unverblümt, in orgiastisch pulsierenden Arpeggien, lüsterner Vorhaltschromatik und überhaupt dem bewährten Wechselspiel von Spannung und Entspannung – erst im zwanzigsten Jahrhundert werden die Mädchen expliziter, die Kerle etwas zärtlicher. Das bisher beste Liedrecital dieser Saison! Warum? Erstens: Es ist sexy! Zweitens, weil Schulze so unfassbar diskret und lustvoll ironisch die Pointen serviert und Vermeulen so wunderleicht die Stilebenen wechseln kann, von Purcell bis Eisler, mit ihrer süßen, klaren, starken Stimme.
Challenge
Hat diese Musik eine Bedeutung? Das fragen sich zwei brillante junge Barockinterpreten um die dreißig, bezogen auf eine Handvoll Rondeaus französischer Clavecinisten von Marais, Forqueray, de Visée und zumal François Couperin, in dem bislang sexysten Booklet dieser Saison. Sie präsentieren diese Musik extrem romantisch-subjektiv, mit bekenntnishafter Leidenschaft à la Werther, ja, mit quasi aufgerissener Hemdenbrust. Aber das ist längst nicht alles. Der Lautenist Thomas Dunford und der Cembalist Jean Rondeau haben sich für ihr Album „Barricades“ (Erato/Warner) zusammengefunden zu einer frappierenden Symbiose. Als Duo tauchen sie den style brisé in exzessive Agogik. Der Sound ihrer Instrumente verschmilzt zu einer neuen, rätselschimmernden, sprechenden Farbe. Die Atmung stockt, die Zeit bleibt stehen, in vollem Lauf. Die Frage ist also rhetorisch gemeint, die Antwort kann nur lauten: Ja.
Erato/Warner
„SprachKlang“ hat Erhard Grosskopf die um ein halbes Jahrhundert verspätete Edition seiner elektro-akustischen Kompositionen genannt – „world premiere recordings“ ergänzt stolz das Label (Neos/harmonia mundi). Wirklich grenzt die Veröffentlichung an ein Weltwunder. Grosskopf war Mitte dreißig, als er für die Expo in Osaka das Stück „Dialectics“ schrieb, das dann damals, 1970, in acht verschiedenen Versionen während der gesamten 180 Tage der Weltausstellung im deutschen Pavillon erklang, zeit- und raumfüllend: in jenem legendären kugelförmigen Konzertsaal, den Fritz Bornemann nach Plänen Karlheinz Stockhausens gebaut hatte. Zwei der Versionen, für Tape und Einzelinstrumente, sind jetzt neu zu erleben. Wortfetzen tauchen auf in dem vielstimmig zarten Raunen der fernen Vergangenheitsklänge, eine politische Botschaft setzt sich zusammen, die, Schande über uns, heute noch aktuell ist, sie stammt von dem schwarzen Bürgerrechtler Stokeley Carmichael: „They donate freedom/ it means nothing/ what they should do/ is refrain from oppression.“
Neos/hm
Eleonore Büning, 06.06.2020, RONDO Ausgabe 3 / 2020
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