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(c) Dominik Stixenberger
Eine Stimme legt los, nimmt an Volumen zu, dunkel, knorrig, geschmeidig. Im Staatstheater Wiesbaden lässt sich der Weltklassebass Günther Groissböck mit Schubert vernehmen. Live. Vor Zuhörern. Endlich wieder.
Man ist im Konzert. Zum ersten Mal seit acht Wochen und zwei Tagen. Dreidimensional und in the house, nicht per Stream. Hessen machte als föderaler Vorreiter Mitte Mai wieder auf. Der Corona-Kritiker Uwe-Eric Laufenberg, Schauspieler, Regisseur, Staatsintendant, rettete so den zweiten Teil seiner Maifestspiele. Natürlich gelten strenge Hygieneregeln. „Kommen Sie gut durch den Frühling“, haben die Maifestspiele schon lange vorher auf ihre Plakate geschrieben. Als erstes öffentliches Konzert in Deutschland vor immerhin etwa 120 auch von weither angereisten Zuschauern präsentiert Groissböck unter dem Motto „Mein Geist dürstet nach Taten, mein Atem nach Freiheit“ einen Schubert/Loewe/Mahler-Abend mit Gesang und Rezitation.
Der Bass ist mit dem Auto aus Lugano via Wien (Generalprobe vor zehn Zuschauern im Ladenlokal eines Online-Fanzines) und München nach Wiesbaden gekommen, Grenzen waren kein Problem. Der Abend ist dann trotz Brechts „Fragen eines lesenden Arbeiters“ beruhigend bildungsbürgerlich. Draußen strahlt die Maiensonne, unter den Arkaden wird ausgeschenkt, deshalb gibt es sogar eine Pause. Das Publikum ist altersdurchschnittlich wie immer, die Senioren haben sich getraut.
Auch Franz Xaver Ohnesorg, der Intendant des Klavier-Festival Ruhr, hat vier Wochen nach dem eigentlichen Start, hochgefahren. Eben greift sich der Chef – mit windelähnlichem Mundschutz und Baumwollhandschuhen – das unter dem Stuhl in der Essener Philharmonie platzierte Pfingstrosengebinde und wirft es sportiv dem kanadisch-polnischen Pianisten Jan Lisiecki zu. Der 25-Jährige hätte an diesem und dem Abend zuvor in Dortmund mit dem Chamber Orchestra of Europa die Beethoven-Klavierkonzerte spielen sollen.
Und nun ist Lisiecki tatsächlich via London aus Kanada gekommen, nach der Rückkehr geht es für zwei Wochen in Selbstisolation. Er gibt zwei Soloprogramme. Das war es dem aschblondlockigen Schlacks wert, man hört es seinem leuchtend musikalischen Beethoven- wie Chopin- und vor allem Mendelssohn-Spiel an. Da nur ein Bruchteil der Zuschauer selbst in den großzügigen Kruppsaal dürfen, 250 sind es circa, wird jedes Konzert mit 75 Minuten pausenloser Solistenarbeit doppelt gespielt. Um 17 Uhr, und nach zwei Stunden Erholung um 20:30 Uhr. Das Klavier-Festival Ruhr als Ironman der Tastentiger. Gage gibt es nur einmal. Nur so geht die Rechnung einigermaßen auf. Alle machen mit.
In der Essener Philharmonie weisen „Corona-Spielplan“-Plakate schon wieder Terminfülle für Juni und Juli auf. Auch das Konzerthaus Dortmund macht vieles möglich. Zum Beispiel für 400 Zuhörer einen langfristig geplanten Gastauftritt des Konzerthausorchesters Berlin, das – föderale Verrücktheit – zu Hause bis 31. Juli keine Konzerte geben darf. Aber proben kann der mit 33 Musikern (55 wären erlaubt) auf Dortmunder Podiumsgröße gestutzte Klangkörper. Das ursprünglich angesetztete Haydn-Cellokonzert mit dem vitalen Kian Soltani und die 4. Beethoven- als Ersatz für die 2. Brahms-Sinfonie, die klingen auch mit nur 21 Streichern satt und fröhlich.
Es dirigiert aber nicht – coronagefährdet und in Paris feststeckend – der Chef Christoph Eschenbach zweimal in Berlin, in der Hamburger Elbphilharmonie und in Dortmund, sondern nur im Ruhrgebiet Mirga Gražinytė-Tyla. Ebenfalls zweimal hintereinander. Die hochschwangere, jetzt kurzbehaarte Lettin hatte sich schon im Februar infiziert. Jetzt ist sie wohl resistent. Das finanziell gut ausgestatte Klassik-Deutschland im vorsichtigen Hochfahrmodus hört sich wieder gut an.
Matthias Siehler, 20.06.2020, RONDO Ausgabe 3 / 2020
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