Musikerjubiläen dienen bekanntlich oft mehr der Planungssicherheit von Veranstaltern, als dass sie zur Neubewertung eines Jubilars einladen. Das könnte sich nächstes Jahr ändern – denn dann gilt es, eine bis heute umstrittene Figur zu feiern: Friedrich II. von Preußen. Der begann seine Herrschaft nicht nur als politischer Hoffnungsträger: Gerade auch die Musiker erwarteten vom musikalischen Monarchen einiges. Friedrichs Musikalität dürfte noch heute als Sympathiefaktor gelten, denn was den Staatsmann und Heerführer betrifft, geht Friedrich angeschlagen in sein Jubiläumsjahr viele Lorbeeren hat er etwa zuletzt an seinen Bruder Heinrich verloren, der sowohl als der umsichtigere Militärstratege als auch geschicktere Politiker gilt.
Umso interessanter nimmt sich Fritz der Musiker aus: Er spielte Flöte und Cembalo, komponierte, schrieb Opernlibretti und kümmerte sich persönlich und bis in Einzelheiten hinein um Hofkapelle und Oper in Berlin. Trotzdem standen der Hof zu Berlin und Sanssouci am Ende der Regierungszeit deutlich im Schatten der musikalischen Zentren Wien, Mannheim oder Paris. War Friedrich als Musenkönig eben doch eine Fehlbesetzung? Oder sind es Friedrich-Klischees, die das Bild verdunkeln?
Entscheidend für Friedrichs musikalische Entwicklung war der gemeinsame Staatsbesuch mit dem Vater im Dresden Augusts des Starken. Hier lernte der 15-jährige Kronprinz (der schon als Kind im Spiel auf Flöte und Tasteninstrumenten sowie im Generalbass und in der Komposition unterrichtet worden war) die glänzende, für ganz Europa vorbildliche Dresdner Hofkapelle und die italienische Oper kennen und musizierte mit einigen der berühmtesten Dresdner Musiker – unter ihnen sein späterer Flötenlehrer Johann Joachim Quantz.
Es war Sachsens Glanz, den Friedrich beim Aufbau seiner eigenen Hofkapelle nachahmte. Diese Aufbauarbeit begann nach der erfolglosen Flucht des Kronprinzen und der vorsichtigen Aussöhnung mit dem Vater in Ruppin und Rheinsberg und wurde 1742, zwei Jahre nach seiner Thronbesteigung, mit der Eröffnung des Opernhauses unter den Linden gekrönt. Sein Idol, den Dresdner Hofkapellmeister Johann Adolph Hasse, konnte Friedrich nicht abwerben, dafür aber so prominente sächsische Kapellmusiker wie Johann Gottlieb Graun, Franz Benda und Quantz. Hofkapellmeister wurde Carl Heinrich Graun, es war aber auch Platz für ausgesprochene Charakterköpfe: Neben Carl Philipp Emanuel Bach sind hier unter vielen anderen der tiefgründige Kontrabassist Johann Gottlieb Janitsch und der eigensinnig zwischen Innovation und altem Stil experimentierende Cembalist Christoph Schaffrath zu entdecken.
In Rheinsberg konnte der Kronprinz seine kompositorischen Fähigkeiten ausbauen: Mit ironisch verbrämtem Stolz berichtet er seiner Schwester Wilhelmine von Versuchen in den größeren Formen von Konzert und Sinfonie. Im Zentrum stand für ihn aber das Flötenspiel. Selbst kritische Zeitgenossen attestieren Friedrich, dass er auch hier ein annähernd professionelles Niveau erreichte. Ihm wurden ein guter Ansatz, eine beachtliche Fingerfertigkeit und ein feiner Ausdruck bescheinigt – nur beim Takthalten hatte der Sohn des Soldatenkönigs Probleme.
Besondere Qualität besaß sein Spiel in den Adagios. Auch Friedrichs scharfzüngiger letzter Kapellmeister Johann Friedrich Reichardt hob das Seelenvolle im Spiel des Königs hervor – und attestierte dem französisch sprechenden Friedrich, in der Musik die eigentliche Sprache seines Herzens gefunden zu haben: »Sein ganzes Adagio war ein sanfter Guss und reiner, anmutiger, oft rührender Gesang – der sicherste Beweis, dass der schöne Vortrag ihm aus der Seele kam.«
Anders als Ludwig XIV., der seinen Favoriten Lully absolutistisch herrschen ließ, konnte der aufgeklärte Monarch Friedrich leider nicht zwischen seiner Rolle als Amateurkünstler und Herrscher trennen. Als Librettist trug er zwar Ansätze französischer Dramatik und aufklärerisches Gedankengut in die italienische Oper und wagte es sogar, seine Oper »Montezuma« tragisch enden zu lassen. Mit seinen Einmischungen in Detailfragen der musikalischen Gestaltung und seinen Disziplinierungsmaßen beschränkte und vergraulte er jedoch seine wichtigsten Stars – und das, obwohl er spätestens nach dem Siebenjährigen Krieg den Anschluss an die neueste musikalische Entwicklung verpasst hatte.
Die täglichen Privatkonzerte und die offizielle Hofmusik begannen nun tatsächlich, ein verzopftes und tabakfleckiges Ansehen anzunehmen. Doch durch Friedrichs Unfähigkeit, innovative Köpfe wie Carl Philipp Emanuel Bach, den späteren Singakademie-Gründer Carl Friedrich Christian Fasch oder den für die Vorromantik bedeutenden Johann Friedrich Reichhardt öffentlichkeitswirksam zu fördern, nutzten viele dieser Musiker die anregende intellektuelle Atmosphäre in Berlin und den Freiraum jenseits ihrer überschaubaren repräsentativen Pflichten, um ein lebendiges bürgerliches Musikleben zu entwickeln: In den öffentlichen und privat veranstalteten »Akademien« der Mitglieder der Hofkapelle fanden artifizielle Kammermusik und Lied, Empfindsamkeit und Sturm und Drang ebenso ihren Platz wie die Pflege des musikalischen Erbes von Händel und Johann Sebastian Bach – eine Entwicklung, die bis zu Mozart und Mendelssohn ausstrahlte.
Es war der Geist dieser bürgerlichen Akademien, an den schon zu DDRZeiten die »Akademie für Alte Musik Berlin« anknüpfen konnte. Sie ist nicht nur am eigentlichen Geburtstag, dem 24. Januar 2012, am Gesprächskonzert mit Armin Müller-Stahl der Berliner Philharmonie beteiligt, sondern bietet auch in den folgenden Tagen im Berliner Konzerthaus mit Christoph Huntgeburth, einem der profundesten Kenner und gewandtesten Interpreten der friderizianischen Traversflötenmusik, eine ganze Reihe namens »Ständchen für den Alten Fritz« an. Eine CD ist ebenfalls in Vorbereitung (s. Kasten rechts).
Echte Aha-Erlebnisse darf man allerdings auch von den Musikfestspielen Potsdam Sanssouci erwarten: Gelang es in diesem Sommer bereits, die Dresdner Einflüsse auf den jungen Friedrich in vielen Facetten vorzuführen, wird es vom 9. bis 24. Juni 2012 darum gehen, wie sich Preußen musikalisch in Europa inszenierte. Die Konzerte stehen im Spannungsfeld, das das doppeldeutige Motto »Rührt euch!« eröffnet: ein König und sein Zeitalter zwischen Militär und Empfindsamkeit.
Dass die noch keinesfalls ausreichend erforschte Musik Substanz genug besitzt, um auch für bedeutende Interpreten jenseits der Alten-Musik-Szene interessant zu sein, dafür steht Emmanuel Pahud mit seiner jüngsten Hommage an den »Flötenkönig«. Dabei geht es dem Soloflötisten der Berliner Philharmoniker um das Aufzeigen einer ganzen Entwicklung, die bei Johann Sebastian Bachs Triosonate aus dem Friedrich gewidmeten Musikalischen Opfer beginnt, eine Würdigung von Friedrichs komponierender Schwester Anna Amalia mit einschließt und beim Originalgenie Carl Philipp Emanuel Bach endet. Er sei dabei höchst individuellen Charakteren begegnet, denen er sich auf die unterschiedlichste Weise näherte – wozu im Falle Friedrichs auch der Besuch in seinem akustisch überwältigenden Übezimmer und ein Studium seiner Haltung gehört habe. Und so sei seine Reise durch das Repertoire des Flötenkönigs zu »einer Reihe von kleinen Opern« geworden, »die von unterschiedlichen Menschen erzählen.«
RONDO: Herr Huntgeburth, wie kam es zu dieser denkwürdigen Gelegenheit?
Christoph Huntgeburth: Beim Usedomer Musikfestival. Dessen Ehrenpräsident Georg Friedrich Prinz von Preußen ließ die Flöte aus dem Hohenzollernschloss Hechingen holen. Am Konzerttag mittags wurde sie mir vor laufender Kamera ausgehändigt. Sie funktionierte zu meiner Erleichterung auf Anhieb. Ein tolles Instrument aus Ebenholz, von Quantz erbaut und durch den Gebrauch richtig dicht geworden. Friedrich schenkte sie später einem seiner Offiziere, die Familie Hohenzollern kaufte sie im 19. Jahrhundert zurück.
RONDO: Jetzt sind wir natürlich neugierig. Wie schmeckt Friedrich?
Huntgeburth: (lacht) Ich sag’s mal so: Friedrich war ein sehr guter Flötist, auf Höhe der Profimusiker seiner Zeit. Ein von ihm benutztes Originalinstrument spielen zu dürfen, das war für mich was ganz Besonderes.
Carsten Niemann, 30.11.1999, RONDO Ausgabe 6 / 2011
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