Startseite · Oper & Konzert · Da Capo
(c) Falk von Traubenberg
In Bayreuth gilt seit drei Jahren „nach dem Festspiel ist vor dem Festspiel“. Ist oben die Wagnerei vorbei, werden unten, im Markgräflichen Opernhaus, für „Bayreuth Baroque“ Darmsaiten gespannt und Naturhörner warmgeblasen. Vor allem aber werden Countertenöre fit gemacht.
Denn Intendant Max Emanuel Cenčić versammelt für sein neues Festival gern seinesgleichen. Hier kreischen Farben und quietschen Gummibusen, als fahrbare Untersätze werden ein güldener Phallus und ebenso solche Elefanten, Kamele und Pferde für die benevolente Belcanto-Battle aufgeboten. „Alessandro nell’Indie“ von Leonardo Vinci stellt dem wenig heroischen Griechenkämpfer Alexander dem Großen den verheulten indischen König Poro, vor allem aber dessen Schwester und eine benachbarte Königin als Eifersuchtsschlangen gegenüber.
Dieses „dramma per musica“ stellte bereits in der Barockzeit Geschlechterverhältnisse wie Machtpositionen satirisch auf den Kopf. Hier ist alles Stimmgold, was glänzt, freilich sind die Frauen falsch. Denn die Oper wurde für Rom komponiert, wo damals keine Frau auf der Bühne singen durfte, nur die Kastratenfavoriten der diversen Kleriker.
Deshalb steht die einzige Gebärmutterbesitzerin als Dirigentin ihren Mann: Martyna Pastuszka führt ihr {oh!} Orkiestra mit zupackender Lautleise-Musikdramaturgie. Cenčić setzt Alexander mit dem extravaganten Britenkönig Georg IV. gleich; was Maayan Licht in schmucker Regency-Klamotte mit geläufiger Gurgel vollführt. So mischen sich Pseudoindien-Ambiente à la Royal Pavilion in Brighton mit kolonialistischen Exotismusfantasien.
Das gerät nie zur allein üppig-albernen Tuntenshow, die Regie drückt geschickt auf die Amüsierbremse. Der kerlige Countertenor Jake Arditti feuert als bitchige Erissena falsche divenhafte Tonleuchtraketen ab. Darin überboten wird er nur von der fast perfekten Frau, dem brasilianischen Sopranisten Bruno de Sá als machtmanipulativer Cleofide. Und der dauerextrovertierte Franco Fagioli ist als Poro nicht nur eine indische Carmen Miranda mit Tuttifrutti-Turban. Der säuselt glaubhaft verzweifelt mit sanften Gurrkaskaden, beherrscht ebenso das Arsenal der großen Fioriturengeschütze.
Matthias Siehler, 22.10.2022, RONDO Ausgabe 5 / 2022
Berlin, Berliner Ensemble – Brecht/Weill: „Die Dreigroschenoper“
Die „Dreigroschenoper“ ist ... ein tückisch’ Ding. Warum? Weil sie ein so fades Ding ist. […]
zum Artikel
Ein Opernhaus, das ohne „Hänsel und Gretel“ auskommen kann: Das nenne ich wahren Wohlstand! […]
zum Artikel
In Wien ist gerade ausgerechnet in zwei heiligen Institutionen der Teufel los. Das Burgtheater […]
zum Artikel
Ihre Wochenempfehlung der RONDO-Redaktion
An dieser Stelle finden Sie Inhalte eines Drittanbieters, die Sie mit einem Klick anzeigen lassen können.
Mit dem Laden des Audioplayers können personenbezogene Daten an den Dienst Spotify übermittelt werden. Mehr Informationen finden Sie in unseren Datenschutzbestimmungen.
Nach seiner viel beachteten Aufnahme der 7. Sinfonie setzen François-Xavier Roth und das Gürzenich-Orchester Köln ihre Bruckner-Gesamteinspielung fort. Die „Romantische“, wie Anton Bruckner seine vierte Sinfonie selbst betitelt, komponierte er 1874 inmitten einer Zeit persönlicher Niederlagen. Und er zweifelt sofort an seinem Werk, bezeichnet manche Stellen als „unspielbar“ und findet die Instrumentation „hie und da überladen und zu unruhig“. Erst Jahre später, nach […] mehr