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Schon früh verlor Sopranistin Gerlinde Sämann ihren Sehsinn, ihre berufliche Vision hingegen nicht. Die Sängerin wird heute u.a. von Sigiswald Kuijken und Ton Koopman engagiert; außerdem ist sie Mitglied des Ensembles „VocaMe“, das auf seiner neuen CD „Inspiration“ Musik von Hildegard von Bingen präsentiert. In Augsburg erzählte sie von Unterschieden und Gemeinsamkeiten zu anderen Musikern.
RONDO: Gerlinde, wie hat das Blindsein Deinen beruflichen Lebensweg beeinflusst?
Sämann: Positiv würde ich formulieren: In Bezug auf das Musikmachen selbst gibt es keine Unterschiede zwischen sehenden Kollegen und mir. Allerdings gestehe ich mir im Älterwerden, auf meine bisherige Karriere zurückblickend, auch ein, dass ich bisweilen an Grenzen gestoßen bin, die es bei anderen so nicht gegeben hat.
RONDO: Ich vermute, nicht alle Ensembleleiter sind von Anfang an überzeugt davon, dass Du perfekt auf Ihr Dirigat reagieren kannst …?
Sämann: Das funktioniert eigentlich immer problemlos. A und O ist das Atmen des Dirigenten. Einige wenige habe ich erlebt, deren Atmen nicht kongruent ist mit ihrem Dirigat: In solchen Fällen hilft mir dann ein neben mir stehender Kollege.
RONDO: Wie lernst Du Deine Stücke, nach was für Noten singst Du im Konzert?
Sämann: Es gibt eine Blindenschrift für Noten, ich verwende eine spezielle Schreibmaschine dafür. Im Falle des „Hildegard“-Programms von „VocaMe“ musste ich die Choralnotation in „normale“ Notenschrift übertragen. Eine Kollegin aus dem Ensemble hat mir die Stücke vorgesungen, und ich habe Text und Musik nach dem Gehör notiert.
RONDO: Wie ist das Programm der Hildegard-CD zu dem gereift, was wir jetzt hören?
Sämann: Wir beschäftigen uns u.a. intensiv mit den Texten, lesen sie auch laut. Grundideen für die Arrangements kommen vom Ensembleleiter Michael Popp, aber vieles entwickeln wir auch direkt beim Proben. Am Ende teilt sich die Spiritualität der Visionen Hildegards atmosphärisch mit, aber die explizite Gestaltung der Arrangements ist stark auf den Textinhalt bezogen.
RONDO: Apropos Spiritualität: Glaubst Du, dass Du Musik grundsätzlich anders, vielleicht verinnerlichter wahrnimmst als Sehende?
Sämann: Nein. Jeder Mensch nimmt Musik ganz individuell wahr, jeder erlebt sie vor dem Hintergrund seiner eigenen Innenwelt. Nur im direkten Austausch über diese Erfahrungen kann man anderen Einblick gewähren in dieses Erleben.
Michael Wersin, 30.11.1999, RONDO Ausgabe 6 / 2012
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