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(c) Holger Hage/DG
Mozart und Chopin: Das sind die Fixsterne, um die Jan Lisiecki im Laufe seiner jungen, doch kometenhaft verlaufenden Karriere immer wieder kreist. Im vergangenen Jahr war er mit Mozarts späten Klavierkonzerten auf Tour zu erleben. Nun ist wieder Chopin an der Reihe. Wenn der groß gewachsene, schlaksig schmale Pianist die Bühne betritt, wirkt er immer noch sehr jung. Dann nimmt er erstaunlich weit von den Tasten entfernt Platz, und stets umgibt ihn eine sympathische Mischung von freundlicher Zuwendung, Schüchternheit und ernsthafter Konzentration. Bevor der erste Ton erklingt, wirkt er wie ein großer Junge, der gerade einen Wachstumsschub hinter sich gebracht hat und nicht recht weiß wohin mit seinen langen Beinen.
Lisieckis Interpretation der Mozart-Konzerte lebt davon, dass er als kommunizierender Kammermusiker denkt und nicht als Tastenprotz. Er benutzt das rechte Pedal selten und nur sehr diskret, sein Mozart-Ton ist klar, kompakt, kein bisschen verschleiert und doch keineswegs trocken oder gar hart. Er besitzt eine innere Weite, die sich nicht räumlich ausbreiten muss.
Das gilt auch für seinen Chopin-Ansatz: Er ist gewissermaßen fettfrei, ohne pedal-süchtige Verschattungen und falsche Larmoyanz. Virtuose Passagen klingen bei Lisiecki nie wie mit Anlauf absolviert und mit Ausrufezeichen versehen, sondern fast beiläufig und delikat, als würden sie ihm improvisatorisch unterlaufen. Damit ist er durchaus ganz bei Chopin, in dessen Mazurken zwar kein Geringerer als Robert Schumann „unter Blumen eingesenkte Kanonen“ zu hören meinte, der aber auch ein Meister der spielerisch eleganten Improvisation war. Schon als Klavierwunderkind war er berüchtigt für diese besondere Gabe, und über seine spätere Karriere liest man immer wieder von Zeitzeugen, dass er in den Salons regelmäßig improvisierte. Auch in den eigenen vier Wänden war das Improvisieren ihm das musikalische Grundnahrungsmittel schlechthin. Seine Lebensgefährtin George Sand klagte nach einer Weile entnervt über das „ewige Gedudel“, doch für Chopin war das Improvisieren weit mehr als nur eine Lockerungsübung, sondern vielmehr die Basis für sein kompositorisches Schaffen. Bei Lisiecki wird diese ungezwungene Grundhaltung hörbar. In dieser Einspielung natürlich auch deshalb, weil die so selten zu hörenden Werke für Klavier mit Orchester kaum belastet sind von Traditionen.
Wie bereitet Lisiecki sich vor auf musikalisches Neuland? „Es ist eigentlich ganz genau so, wie man ein Buch liest. Du öffnest das Buch und fängst am Anfang an. Ich öffne also die Partitur und fange an, sie zu lesen. Und dann versuche ich, wie bei einem Buch, das philosophische Konzept des Autors – oder des Komponisten – zu verstehen. Es gibt Musik wie die von Schumann, bei der intellektuelle Hintergründe sehr wichtig sind und man als Interpret die Konzepte des Komponisten verstehen sollte. Letztendlich ist es bei mir aber so, dass die Musik zuerst zu meinem Herzen spricht. Und ich denke, bei Chopin geht es vorrangig darum, die Schönheit dieser Musik zu finden. Und generell geht es mir darum, meine eigene Stimme zu finden. Das kann ein längerer Prozess werden. Und am Ende muss ich dann alles vergessen und ganz im Moment und in der Musik sein, um mit dem Publikum zu kommunizieren.“
Chopins Werke für Klavier mit Orchester sind wohl auch deshalb so lange ignoriert worden, weil man dem Komponisten immer wieder vorgeworfen hat, dass er mit dem Orchester wenig anzufangen und es nicht als eigenständige Kraft einzusetzen wusste. Auch diese Einspielung wird das Vorurteil nicht völlig entkräften können, aber das NDR Elbphilharmonie Orchester unter Krzysztof Urbański spielt mit großer Liebe zum kleinen Detail und heller, geradezu Mendelssohn’scher Emphase. Es war Lisieckis eigene Idee, diese Raritäten auszugraben. „Von Chopin ist doch alles schon so oft eingespielt, und diese Stücke sind voller Schönheit! Und technisch äußerst anspruchsvoll. Ich finde, sie besitzen alle Chopin- Qualitäten.“
Sind es eigentlich Lisieckis polnische Wurzeln, die ihn so eng mit Chopin verbinden? „Vielleicht ja, weil ich die Sprache verstehe und spreche. Andererseits: Er hat die meiste Zeit seines Lebens in Frankreich verbracht und kehrte nie nach Polen zurück. Er war im Grunde ein sehr internationaler Künstler. Und ich selbst habe keinerlei Verbindung zum heutigen polnischen Musikleben. Möglicherweise ist das unsere Gemeinsamkeit?“
Neben der Souveränität und Delikatesse, mit der Lisiecki virtuose Attacken funkeln lässt und Akkord-Ballungen durchlüftet, imponieren vor allem die langsamen, ruhig atmenden Passagen. „Ich denke, bei Chopin geht es um Einfachheit. Er hat das auch selbst einmal gesagt, mit all’ den Tausenden von Tönen geht es eigentlich um Schlichtheit, alles muss zu dieser Einfachheit verschmelzen. Trotz der reichen und komplizierten Harmonien und der raffinierten Agogik. Und das zweite ist die Qualität des Klangs: Chopin liebte die Oper und wollte, dass das Klavier singt! Darin sehe ich auch die Verbindung zu Mozart.“
DG/Universal
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Jan Lisiecki wurde 1995 als Sohn polnischer Eltern im kanadischen Calgary geboren. Bereits 2009 erschien die erste Einspielung des damals 15-jährigen Pianisten mit der Aufnahme von Chopins Klavierkonzerten. Es folgten Einspielungen von Mozart-Konzerten, Chopins Etüden und Werken von Schumann. Nun hat er Raritäten von Chopin für Klavier mit Orchester eingespielt, darunter die Variationen über „Là ci darem la mano“ aus Mozarts „Don Giovanni“. Diese sind ein beredtes Zeugnis dafür, wie sehr Chopin Mozarts Musik schätzte, denn seine Anverwandlungen der Mozart-Arie reichen kompositorisch weit hinaus über die sonst üblichen Salonkratzfüße der Widmungswerke und Gassenhauer-Hommagen.
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