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(c) Jónatan Grétarsson
Spätestens seit der Begriff „Crossover“ Karriere machte, wird immer wieder das Ende der leidigen Unterscheidung von „E“ und „U“-Musik beschworen. Natürlich gab es immer schon eine Kluft zwischen der Musik der Straße und derjenigen der Fürstenhäuser, der Arme-Leute- Kirchen und der Bischofs-Sitze. Aber erst in der Romantik wurde die „absolute“, scheinbar zweckfreie Musik zum Ideal, während Salon- und Tanzmusik abgewertet wurden. Im 20. Jahrhundert wurde dann der hässliche Begriff der Gebrauchsmusik erfunden, unter dem Unterhaltungsmusik jeder Art und damit auch die Filmmusik subsummiert wurde. Und obwohl bedeutende (E-Musik-) Komponisten wie Schostakowitsch, Korngold und Pärt sich auch als Filmmusik-Komponisten verdingten, hängt dem Genre ein wenig der Geruch des Zweitrangigen, Kommerziellen an. Was daran liegen mag, dass die oben Genannten im 20. Jahrhundert meist aus finanzieller Not im Filmgeschäft tätig waren und viel lieber frei arbeiteten.
Inzwischen sind wir aber im 21. Jahrhundert angekommen, die Genregrenzen und Kategorien existieren in den meisten Köpfen zwar noch weiter, aber unter den aktiven Musikern setzt sich immer mehr ein Typ des inspirierten Pragmatikers durch, für den in seiner täglichen Arbeit Grenzen keine Rolle mehr spielen. Jóhann Jóhannsson ist genau so ein Typ: Ursprünglich kommt er von der Popmusik, kennt sich aus mit improvisierter Musik und pendelt unbeschwert zwischen klassischem Minimalismus, Ambient, elektronischer Musik und vor allem Filmmusik. Für mehr als ein Dutzend Filme schrieb er bereits die Originalmusik, u. a. „The Myners‘ Hymns“ (2011) mit Bill Morrison und für „Die Entdeckung der Unendlichkeit“ des Regisseurs Bill Marsh, für die er 2015 einen Golden Globe kassierte und Oscarund BAFTA-Nominierungen einheimste. 2016 gab es bereits Nominierungen für seine Musik zu Denis Villeneuves „Sicario“, es folgten zwei weitere große Filme mit Denis Villeneuve („Arrival“) und James Marsh („The Mercy“).
Aber auch auf dem Feld der „absoluten“, der für den Konzertsaal konzipierten sinfonischen Musik ist der Isländer kein Anfänger, denn er hat bereits Auftragswerke für das Isländische Sinfonieorchester und Paul Hilliers „Theatre of Voices“ geschrieben.
Hillier ist mit seinem Team nun auch bei „Orphée“ dabei, einer Komposition für klassische Orchesterinstrumente – solistisch und chorisch –, Elektronik, Chor und aufgezeichnete Kurzwellen-Lauten. Inspiriert haben ihn verschiedene Versionen des antiken Orpheus- Mythos von Ovid bis Cocteau, verrät Jóhannsson. Wie alle seine Komponisten-Vorgänger von Claudio Monteverdi über Christoph Willibald Gluck bis Philipp Glass versteht auch Jóhannsson die Fabel von Liebe und ihrer Überwindung des Todes als Metapher für das Kunstschaffen selbst und seinen Drang zur Übertretung.
Sechs Jahre lang hat Jóhannsson, der inzwischen in Berlin lebt, mit seiner musikalischen Reise zugebracht, die gekrönt wird von der „Orphic Hymn“, die von Hilliers „Theatre of Voices“ auf einen Text von Ovid gesungen wird. „Die Musik blieb dabei immer aktuell, sie war ständig im Zustand der Bewegung und der Erneuerung.“
Regine Müller, 24.09.2016, RONDO Ausgabe 4 / 2016
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