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Eiskalt ist das Berliner Regierungsviertel im Februar, selbst wenn die Sonne scheint und der Himmel blau leuchtet. Wir spazieren und plaudern. Über seine Musik, sein Leben, sein Selbstverständnis. Als Teenager hörte er am liebsten Bob Dylan und die Beatles. Dann ging’s ans Mailänder Verdi-Konservatorium: klassische Ausbildung, Studium bei Luciano Berio, mehrere Orchesterwerke, ein Ballett, Jazz, schließlich der erste Film-Soundtrack. Ganz schön vielseitig. Das ist bis heute so geblieben. Ohne dass der Komponist große Worte darüber verlieren würde. Er ist eher zurückhaltend. Oder liegt das nur an den Minusgraden, die Berlin zittern lassen? Reden hält warm. Reden wir über Ludovico Einaudi. Nein, lassen wir ihn reden. Und verlieren vorher noch ein Wort über seine Musik. Sein neues Album: ein sanfter, ruhiger Klangfluss. Klavier mit Cello, meditativ, schmeichelnd. Die Kunst der Wiederholung. Musikalische Figuren in der sensibel variierten Endlosschleife. Fast wie ein leises, ruhiges, entspanntes Ooohm ist das. Wohlfühlmusik. Heißt „Una mattina“ und ersetzt einen Nachmittag im Wellness-Club.
„Ich nenne meinen Flügel Tagore. Weil ich die Gedichte des indischen Poeten Rabindranath Tagore so mag. Für ihre einfache, universelle Sprache, für ihre Menschlichkeit, Schlichtheit und Schönheit. Tagore hatte einen ganz entscheidenden Einfluss auf Gandhi. Als er 1913 den Nobelpreis für Literatur erhielt, wurde damit nicht nur seine Kunst, sondern auch seine Botschaft ausgezeichnet. Ich habe eine ganz besondere Beziehung zu meinem Instrument, wir führen einen freundschaftlichen Dialog, fast wie mit einem menschlichen Gegenüber. Darum wollte ich ihm einen besonderen Namen geben.“
„Mein Vater war Kunstsammler. Ich bin damit aufgewachsen. Wir hatten schon einen Warhol, als den noch kaum jemand kannte. Ständig wurden Skulpturen und Gemälde in unser Haus geliefert, ich durfte immer beim Auspacken helfen. Ich liebte Pop-Art. Später entdeckte ich meine Begeisterung für die Fotografie. Zuerst arbeitete ich in einem Labor und beobachtete nur. Dann ging ich selbst auf Motivsuche. Natürlich ist inzwischen die Musik meine Kunst Nummer Eins. Aber ich habe mir gerade eine neue Leica gekauft. Und ich male, ich habe immer ein Skizzenbuch bei mir. Ich experimentiere weiter.“
„Luciano Berio hat mich beeinflusst, allerdings eher in seinem Denken als in seiner Kompositionsweise. Ähnlich ging es mir mit Karlheinz Stockhausen. Der ist genial, auf seine ganz eigene Art. Aber meine Musik spricht eine andere Sprache. Sie ist unkompliziert. Denken Sie an Filmmusik! Jeder kann sie verstehen. Darum arbeitete ich auch immer wieder für den Film. Ich möchte viele Menschen ansprechen.“
„Afrika bedeutet eine große Inspiration für mich, vielleicht die größte überhaupt. Diese ursprüngliche Kraft, das Unmittelbare und Unverstellte der Stammesmusik, der Rituale und Tänze faszinieren mich. Von einer meiner Reisen dorthin habe ich einen orangefarbenen Kelim mitgebracht, der liegt jetzt in meinem Wohnzimmer in Mailand. Das ist mein Zauberteppich. Auf dem sitze ich und denke an Afrika. Ich liebe dieses Orange. Es wirkt auf mich wie eine geheimnisvolle Energiequelle.“
„Manche Bücher kaufe ich, weil ich sie lesen will. Andere kaufe ich nur deshalb, weil sie schön aussehen, die lese ich nie. Aber auch diese Bücher, die ich niemals lesen werde, sind ein Teil meiner Welt und darum wichtig. In einem bestimmten Augenblick habe ich sie gesehen und gewusst: Das muss ich jetzt haben. Damit setze ich mich auseinander, und sei’s nur übers Cover, über das, was ich mir vorstelle, was sich dahinter verbergen könnte.“
„Ich glaube, dass meine Musik Frauen stärker anspricht als Männer. Meine Musik ist sehr emotional, und Frauen können Emotionen besser zulassen als Männer. Die haben oft ein Problem damit. Was natürlich nicht heißen muss, dass mit ihnen etwas nicht stimmt, nur weil sie meine Musik mögen.“
„Ich bin nicht religiös, jedenfalls nicht im klassischen christlichen Sinne. Nennen Sie mich spirituell. Ich glaube an die Kraft des Universums. Und an die Natur. An ein Leben in Harmonie mit der Natur. Ein bisschen Buddhismus, ein bisschen Hinduismus vielleicht und ganz viel, was ich mir selbst zurechtlege – meine Privatreligion einer friedlichen Kunstmusiknaturwelt.“
„An meinen Großvater Luigi Einaudi kann ich mich kaum erinnern. Dass er nach dem Zweiten Weltkrieg der erste Präsident Italiens war, weiß ich nur aus Erzählungen anderer Familienmitglieder, in dieser Rolle habe ich ihn nie bewusst erlebt. Er starb 1961, als ich sechs Jahre alt war. Ich erinnere mich daran, wie wir zusammen in seinem Landhaus frühstückten, und meine Großmutter eine Prise Salz in den Cappuccino tat. Das ist meine einzige Erinnerung an den Präsidenten. Seitdem nehme ich Salz in den Kaffee, versuchen Sie’s, ist wirklich gut.“
Decca/Universal
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