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(c) Jean-Baptiste Millot
"Niemand ist eine Insel“, denkt man unwillkürlich, wenn man den Namen des neuen Ensembles liest: Insula Orchestra. Sollte das nicht besonders für Orchestermusiker gelten, die in hohem Maße miteinander und dem Publikum kommunizieren? „Falsche Fährte“, lacht Laurence Equilbey, die sich kurz vor dem Auftritt in der Schlosskirche von Versailles noch die Zeit genommen hat. „Als Insula bezeichnet man eine Region im Großhirnstamm, die besonders gefragt ist, wenn es darum geht, auf Reize mit Emotionen zu reagieren, auch das Lustempfinden ist dort teilweise verankert“, erläutert die Dirigentin die Namensgebung. Diese Hirnregion ist das erklärte Ziel in der Arbeit mit dem neuen Orchester, denn „wenn wir die Menschen nicht im Innersten bewegen, wofür machen wir sonst Musik?“.
Nun ist Laurence Equilbey im Gegensatz zum Insula Orchestra aber kein neuer Stern am Musikhimmel. Nach ihrem Studium, das sie unter anderem zu Nikolaus Harnoncourt nach Wien führte, gründete die Französin den Kammerchor Accentus, der über ihr Heimatland hinaus schon Kultstatus genießt, nicht nur für seine makellose Intonation und Stimmbalance, sondern auch für eigenwillige, smarte Programmgestaltung. Zu größer besetzten Konzerten tat man sich regelmäßig mit den einschlägigen Ensembles der Alten Musik zusammen, wie Concerto Köln oder der Akademie für Alte Musik Berlin. Aber Probenzeit mit Spezialisten ist knapp, weil teuer, und die Klangkörper sind vor allem in ein enges Korsett aus Terminen eingebunden. Und Equilbey wollte ohne Zeitdruck mit der Musik arbeiten können.
Wie ein passgenauer Zufall klingt, was sich dann ereignete. „2012 kamen Verantwortliche des Départements Hauts-de-Seine auf mich zu, weil man Gelder für ein nachhaltiges Musikförderungsprogramm bereitstellen wollte. Nach kurzen Gesprächen war die Idee geboren, ein Orchester für junge Musiker zu gründen – und aus meinem Zeitproblem wurde sogar ein Vorteil!“, berichtet Equilbey. Denn nun ist intensive Probenarbeit sogar gewünscht. Die Philosophie des Orchesters sieht vor, dass alte Hasen von Schlüsselpositionen aus den Nachwuchs mit sich ziehen. Und der ist mit solchem Feuereifer dabei, dass schon beim Zuschauen die Insula unwillkürlich kitzelt. Ein Ass hat Equilbey aber noch im Ärmel: „Wenn wir uns einer Epoche nähern, besetze ich immer Profis, die sich mit der Musik aus dem vorigen Jahrhundert auskennen. Das ist das beste stilistische Fundament, wir erfinden jede Musik aufs Neue“, verrät die Dirigentin.
Das Konzert in der Schlosskirche gibt ihr recht: Knackige, gut gesetzte Tempi in der Krönungsmesse, die frischen Stimmen des Solistenquartetts sockeln ohne Mühe auf den transparenten Orchesterklang auf. Dazu gibt es trompetensatte Szenen aus Beethovens „König Stephan“ und die Kantate „Kampf und Sieg“ von Carl Maria von Weber, die Musik betört ganz ohne effekthaschend aufgerauten Klang. Kein deutscher Dirigent würde sich am pathetischen Einigungstaumel des Vormärz die Hände schmutzig machen – was schade ist, denn Weber schlägt den „Stephan“ noch um Längen. Man merkt Equilbeys knapper Handkante an, dass sie vom Chor kommt, jede bühnenwirksame Maestro-Attitüde ist ihr fremd. Fest steht: Wenn das Insula Orchestra im Januar bei der Mozartwoche Salzburg sein internationales Debüt gibt, ist Nerven-Kitzel kein Nebeneffekt.
naïve/Indigo
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