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"Vox cosmica“, das neue Album, hat „Hirundo maris“ dem Lebenswerk der Hildegard von Bingen gewidmet, einen Gegenpol darin bilden die Gesänge von Petrus Abaelardus. Musikalisch überwiegt der Gleichklang, ganz egal, ob Arianna Savall die weit geschwungenen Bögen der Gesänge der Äbtissin interpretiert oder Petter Udland den intellektuellen Part des Abaelard übernimmt. „Die Musik von Hildegard ist hochemotional“, sagt der Norweger im Interview. „Wir finden, sie spricht direkt zu den Herzen der Menschen. Es ist einfach wichtig, sich vom Alltag zu entfernen, sich mit etwas zu verbinden, das wir nicht ganz verstehen können – dem Göttlichen nämlich.“ Ganz klar, die Produktion des Paares lässt sich ganz vom Sog des mittelalterlichen Gesanges gefangen nehmen – hier gibt es keine historisch-kritischen Überlegungen, die Faszination an der Mystik steht im Vordergrund.
Das muss nicht schlecht sein – im Gegenteil, das starke emotionale Engagement der Musiker, ihre intensive Auseinandersetzung mit den Schriften zum kosmischen Gesamtklang machen den Reiz dieser Aufnahme aus. Denn letztendlich hat Arianna Savall, Tochter des spanischen Gamben-Granden Jordi Savall und der vor drei Jahren verstorbenen Sängerin Montserrat Figueras, deren Stimmideal und Ästhetik sie konsequent fortsetzt und weiterdenkt, hier ein ganz neues Genre geprägt, „Early Fusion“. „Ich war schon immer fasziniert von Hildegard und habe ihre Musik während meines Studiums an der Schola Cantorum in Basel besser kennengelernt. Ich habe immer wieder Hildegards Musik gesungen, weil es wie ein Balsam für die Stimme und die Seele ist. Gleichzeitig“, gibt sie zu bedenken, „verlangt diese Musik der Sängerin technisch und körperlich sehr viel ab, man muss wegen des großen Ambitus’ flexibel bleiben.“
„Early Fusion“ ist aber noch mehr als die Vermengung von moderner Geisteshaltun und mittelalterlicher Hochkultur. Petter Udland hat vier instrumentale „Meditationen“ geschrieben, die als Brücke fungieren sollen. Mit Hardangerfiedel, Harfe und Flöten besetzt, lassen sich die Stücke irgendwo zwischen modernem Folk und kontemplativer Dauerschleife ansiedeln. „Die Meditationen sollen unser persönlicher Blick auf die Musik von Hildegard sein.“ erklärt der Musiker. „Für uns moderne Menschen wirkt das alles ein bisschen fremd. Mit dieser Instrumentalmusik versuchen wir zu realisieren, was es heißt, Spiritualität zu erleben.“
Und der musikalische Brückenschlag in die mystische Welt der Hildegard von Bingen ist gelungen. Ganz ohne pädagogischen Zeigefinger. Auf diese Platte kann sich jeder einlassen, egal ob er etwas über die Musik des Mittelalters weiß, oder ob er nur eine Scheibe zum Chillen am Kamin sucht.
Ganz zum Schluss des Gespräches spielt dann doch die politische Realität eine Rolle: Ariannas Vater hat gerade den spanischen Nationalpreis für Musik abgelehnt, aus Unzufriedenheit mit der Kulturpolitik des Landes, was ein heftiges Rauschen im Blätterwald verursachte. Von „dramatischem Desinteresse“ und „totaler Inkompetenz“ war die Rede in seinem offenen Brief. „Ich bin total einverstanden mit dieser Aktion“, sagt Arianna. „In Spanien gibt es so viele Talente, aber leider werden Musiker und Künstler nicht gut behandelt. Viele müssen gehen, so wie es auch unsere Eltern gemacht haben.“ Und dann fügt sie hinzu: „Wir haben in diesem Bereich noch viel zu lernen vom Norden.“
Mirjam Schadendorf, RONDO Ausgabe 6 / 2014
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