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Wer die 28-jährige Georgierin in ihrem Haus in Schwabing besucht, erlebt ein verblüffend unkompliziertes, unprätentiöses »Saitenwunder«. Zwar präsentiert ihre neue Plattenfirma die mitunter »nobel« und »perfektionistisch« genannte Künstlerin im seriösen schwarzen Abendkleid. Aber solche Projektionen verschwinden sofort angesichts der freundlich lächelnden Mutter, die den Besucher in Alltagsklamotten mit ihrer dreijährigen Anna-Victoria auf dem Arm empfängt. Wenn Ehemann François Leleux, bekanntlich gefeierter Oboist, das Töchterchen zu Bett bringt, dann wird sofort klar: Familie ist im Hause Batiashvili kein Anhängsel, keine private Ergänzung zur öffentlichen Karriere, sondern eine Selbstverständlichkeit, die ebenso viel Raum beanspruchen darf wie die millionenteure (natürlich nur geliehene) Engleman-Stradivari von 1709, die nebenan auf der Couch liegt. Die Klagen so vieler Jetsetkollegen, die jeden Tag ein anderes Konzertpublikum, ihre Kinder jedoch nur alle paar Wochen zu Gesicht bekommen, möchte die junge Mutter jedenfalls nicht anstimmen. So organisiert sie ihre 50 Konzerte jährlich um das Familienleben herum und nicht umgekehrt. Und jeder Plattenvertrag und jeder Konzertmanager muss das akzeptieren, mag er mit noch soviel Publicity und Glamour winken.
Den Sinn fürs Bodenständige hat die Georgierin von ihren Eltern geerbt, ebenfalls erfolgreiche und familienorientierte Musiker. Beim Stichwort Heimat kommt ein wenig Wehmut auf, nicht nur weil die Zwölfjährige 1991, in den gefährlichen Umbruchszeiten der ehemaligen UdSSR, mit ihren Eltern aus Tiflis auswandern musste – sie vermisst auch heute noch den herzlicheren Umgang ihrer Landsleute. Der Quartett spielende Vater und die offenbar strenge Klavier spielende Mutter legten den Grundstein, berühmte Pädagogen wie Oleg Kogan in Moskau, Mark Lubotski in Hamburg und Ana Chumachenko in München halfen und helfen richtungweisend weiter. Als die 16-Jährige in Helsinki den zweiten Preis beim Sibeliuswettbewerb gewinnt, stehen ihr plötzlich alle Konzertpodien offen.
Obwohl längst Partner der meisten namhaften Orchester und Dirigenten, errötet die gereifte Künstlerin noch leicht, wenn sie davon erzählt, wie Simon Rattle anrief, um sie für das diesjährige Europakonzert der Berliner Philharmoniker zu engagieren. Nicht minder stolz (und sympathisch-verlegen) schildert sie ihre erste eigene Dirigiererfahrung, als sie letztes Jahr in Bonn bei Beethovens Violinkonzert mit der Deutschen Kammerphilharmonie Paavo Järvi »ersetzte«, der kurz vor dem Konzert absagen musste. Das Ganze will die dirigierende Solistin bald, da es vom Publikum begeistert gefeiert wurde, auf Platte einspielen.
Ihre neueste CD aber, die dieser Tage erscheint, wartet mit ihrem Herz- und Magenkonzert von Sibelius auf, das sie bislang durch ihr ganzes Leben begleitet hat und dem sie wunderbar farbenreiche, blut- und glutvolle Töne entlockt (wobei die Finnlandliebhaberin das Klischee vom schwermütigen Norden nie nachvollziehen konnte). Dass sich Lisa Batiashvili auch dem Unbekannten widmet – dem ihr zugeeigneten Violinkonzert Magnus Lindbergs von 2004 –, erscheint gerade für ein Labeldebüt reichlich mutig. Doch auch hier zeigt sie Entschlossenheit – noch ein Sympathiepunkt für die junge Künstlerin.
Christoph Braun, 05.07.2014, RONDO Ausgabe 5 / 2007
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