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N° 1354
20. - 29.04.2024

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am 27.04.2024



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(c) Pixabay

Weihnachtsneuheiten

Öfter mal was Neues

Weihnachtstonträger zündeln mit Nostalgie und Sehnsucht des Käufers: Ein Minenfeld! Doch jetzt formiert sich Widerstand.

Das Album „Ein Wintermärchen Vol. 2“ (DG/Universal) bringt das Dilemma der Weihnachtsplatten auf den Punkt: Auf dem Cover Großstadtversatzstücke aus New York und Berlin, darauf zu hören neue, üppige Arrangements der sattsam bekannten Weihnachtslieder. Für die Tonne. Wirklich? Denn die sind handwerklich ganz hervorragend gemacht! Israel klopft die Motive und Wendungen der vertrauten Lieder ab und setzt sie teils erstaunlich neu zusammen. Warum nicht ein ganzes Album mit Paraphrasen und Variationen auf diesem Niveau? Problematisch wird es erst bei der disparaten Auswahl an Sängern, die – viel zu präsent aufgenommen – vor der Hälfte der Tracks klebt. Der echsenhaft hauchende Götz Alsmann, die hier damenhaft lahm klingende Nadine Sierra, Max Raabe, Ute Lemper, Show-Sternchen, sie alle wirken so fehl am Platz, wie vom Privatfernsehen gecastet.
Gar nicht der Fall ist das bei Bing Crosby („Bing At Christmas“, Decca/ Universal), obwohl hier tatsächlich seine Stimme vor neue Orchester-Arrangements gelegt wurde: Einfach wunderbar! Ebenfalls toll remastered: Das 1975er-Weihnachtsoratorium mit Peter Schreier und Theo Adam (Berlin Classics/Edel), hüten sollte man sich dieses Jahr aber vor Ludwig Güttler. Weinerliche Streicher, verschleppte Tempi, wer macht 2019 noch so Barockmusik? (Europa Cantat, Berlin Classics/Edel). Beides von gestern, einmal wehmütig schön, einmal unfreiwillig.
Gleich zweimal gibt es Bachs Magnificat Es-Dur BWV 243a, die Version mit Weihnachtseinschüben. Von „Solomon’s Knot“ mit Leipziger Werken von Kuhnau und Schelle abgerundet, aber zu barsch musiziert und zu trocken aufgenommen („Magnificat“, Sony). Die Pauken mit Lederschlegeln klingen so wie ein malträtierter Umzugskarton. Im Vergleich merkt man, wie gut der Hall etwa der Schlosskapelle von Versailles dem Werk tut! (La Chapelle Harmonique, Tournet – CdVS/Note 1). Noch was für Barockfans? Die Kölner Akademie bringt weitere Weihnachtskantaten von Gottfried August Homilius: Frisch und festlich musiziert (cpo/ jpc). Oder die Weihnachtserzählung in Werken von Rosenmüller und Schütz, mit der nobel aufspielenden Chapelle Rhénane (Christophorus/ Note 1).
Auch im Chorbereich haben wir Erfreuliches gefunden: Zum einen Engelbert Humperdincks Kinderchor- Schinken „Bübchens Weihnachtstraum“ (MDR Kinderchor, Thielmann, Schmitt – genuin/Note 1). Ein wenig vermisst man hier die bitteren, vielschichtigen Töne seiner berühmten Oper „Hänsel und Gretel“, das ist alles nett und adrett wie ein Opa mit seinem Enkelkindchen überm Bilderbuch. Aber hier einfach zuckersüß und ungebrochen vorgetragen und wärmend gelesen. Keine Erklärung braucht dafür die London Choral Sinfonia mit „O Holy Night“: Ein Reigen (englischer) Carols in tollen Arrangements, lupenrein und berührend gesungen, unser Favorit dieses Jahr – haben wir schon gesagt, dass wir die britische Chorweihnacht lieben? (Orchid/Naxos). Doch es geht auch ohne Worte, etwa mit dem romantischen Klassiker schlechthin. Vladimir Jurowski ist dieses Jahr eine neue Referenz von Tschaikowskis „Nußknacker“-Ballett gelungen (s. S. 53, Pentatone/Naxos).
Und es gibt auch Künstler, die sich mit der Wiederkehr des Gleichen nicht zufrieden geben. Bariton Dietrich Henschel hat ein mutiges Experiment gewagt (und damit offenbar ein sehr persönliches Anliegen umgesetzt), nämlich zeitgenössische Komponisten wie Detlev Glanert, Manfred Trojahn oder Jamie Man nach ihrer Sichtweise auf Weihnachten befragt. Und um eine Auftragskomposition gebeten. Heraus kamen 12 Miniaturen, von Familienfrust über eine gesellschaftskritische Dekonstruktion der Hirtenszene bis zum Staunen über die Weiße Stille. Ergänzt hat Henschel das um 12 Arrangements bekannter Weihnachtslieder – er selbst mit Gesang, Celesta oder Flügel, kontrastiert vom sagenhaften Perkussionisten Simone Rubino. „X-mas Contemporary“ ist die spannendste Idee zum Weihnachtsfest seit Kay Johannsens Orgel-Improvisationen: Ein reibungsvoller, wunderschöner, aufrichtiger Adventskalender in 24 Stücken für solche, die an Weihnachten lieber hinhören statt zu shoppen (Farao).

30.11.2019, RONDO Ausgabe 6 / 2019



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