Melodya/Naxos MELCD1002292
(133 Min., 1966 - 1988) 2 CDs
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DG/Universal 4794342
(109 Min., 2008) 2 CDs
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Wer noch mit den längst überalterten Klavierbüchern von Joachim Kaiser oder Harold Schonberg aufgewachsen ist, dem hingen recht lapidare Sätze nach. Sokolov sei einer von den Vielen, die nach Gilels kamen und gingen, ohne rechten Eindruck zu machen, als reiche Künstlerpersönlichkeit sei er kaum anzusehen, und so weiter. Sprachen sie von demselben, einzigartig eigensinnigen Pianisten, der sich später so geduldig ein eingeschworenes Publikum erspielte?
Auf zwei CDs trifft man den Teenager Sokolov, der mit 16 (!) den Moskauer Tschaikowski-Wettbewerb gewann. Da spielt ein höchst solider sowjetischer Pianist, massiv und sachlich – aber Vor-Klänge der unvergleichlichen subtilen Eigenart des späteren Meisters sucht man tatsächlich vergebens. Das soll nicht herablassend klingen. Der sinfonische Kraftklang und das warmglühende Licht in der akkordischen Seitengruppe der Schubertschen a-Moll-Sonate D. 784 haben etwas Gilelshaftes. Aber ein so einseitig auf Ordnung und Kontrolle fixierter „Carnaval“, frei von jeder Fantastik, dokumentiert die Ahnungslosigkeit des jungen Pianisten gegenüber der spinnerten Parallelwelt, die nun einmal die Hauptsache ist.
Vierzig Jahre waren vergangen, als die Mikrofone 2008 in Salzburg einen völlig verwandelten Sokolov einfingen, der Mozarts frühe Sonate KV 280 in ein Exemplum morbider Überfeinerung verwandelte. Noch das sprödeste Material wie ein wiederholt in Bassoktaven aufsteigender Dreiklang (1. Satz) wird mit einer Geschliffenheit zelebriert, als handele es sich um die Ausleuchtung der erlesensten Skrjabinschen Harmonie. Das ist höchste Klavierkunst und kann süchtig machen wie ein Gift – für eine Weile. Auf dem Tonträger verfliegt die Wirkung ein wenig, man fragt sich dann doch, ob sich diese Kollektionen erlaucht angeschlagener Töne zu sinnvoll phrasierten Linien fügen, die an einen irgendwie Mozartischen Verlauf erinnern.
Der zersplitternde Kosmos der Chopinschen Préludes, das ist Sokolovs Weltraum. Dieser Zierratsüchtige scheint hier immer und überall im Zentrum seiner Schönheitsschöpfung. Eine mit feierlicher Andacht getupfte Achtelnote kann ein kleines Gravitationszentrum eines kristallin ausgehärteten Aphorismus bilden. Das Einzelne, Kostbare bleibt dann auch im Gedächtnis, die wie Silberglocken angeschlagenen Diskanttöne am Ende des Fis-Dur-Préludes oder das unbeschreiblich abschattierte Ostinato-Pochen der Regentropfen: Hier fällt die Erhebung des geschliffenen Details zur pianistischen Apotheose mit interpretatorischer Schlüssigkeit zusammen.
Matthias Kornemann, 09.05.2015
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