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N° 1354
20.04. - 01.05.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



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Johann Sebastian Bach

Kantaten BWV 82, 199 & 84 u.a.

Christine Schäfer, RIAS Kammerchor, Bernhard Forck, Berliner Barock Solisten

Sony 88765444782
(70 Min., 9/2012)

Wenn die Tage immer kürzer werden und beim Herbstlaub die Farbpalette endgültig verblasst, ja dann beginnt meistens auch die große Sinn- und Lebenskrise. Stimmungsaufheller sind da vonnöten. Und zumindest die erste Liedzeile von Bachs Kantate „Ich bin vergnügt mit meinem Glück“ könnte so ein Rettungsanker für die Psyche sein. Nun lässt Bach hier die erfüllenden Grundtugenden christlicher Nächstenliebe besingen. Und die akkompagnierende Oboe (Jonathan Kelly) blüht dazu mit herrlichstem Dolce auf. Trotzdem hängt über dieser freudigen Szene eine dunkle Wolke. So ganz soll man dem Frieden wohl nicht trauen. Und für all das subkutan mitlaufende Dramatische und Erregende dieser Musik hat gerade Sopranistin Christine Schäfer ein faszinierend untrügliches Gespür.
Stimmengourmets mögen sich immer noch schwer tun mit dieser Ausdrucksintensität, für die Schäfer gerne manche gesangstechnischen, unangenehmen Unebenheiten in Kauf nimmt. Dokumentiert sind sie gerade in den beiden weiteren Kantaten, die Schäfer mit den Berliner Barock Solisten aufgenommen hat, sei es nun in der Eröffnungsarie der Kantate „Ich habe genug“ sowie im Rezitativ „Ich lege mich in diese Wunden“ aus der Kantate „Mein Herze schwimmt im Blut“. Wer Schäfers Leistungen aber mit makellos auftrumpfenden Kolleginnen abgleicht, der begreift auf Anhieb, dass expressive Schonungslosigkeit mehr vermittelt und mitteilt als pedantisch durchgeformter Schönklang. Der Tod mag ein Glücksspender sein, wie es „Ich habe genug“ behauptet. Und die kontemplative Ruhe, die Schäfer mit Flötist Jacques Zoon da in „Schlummert ein, ihr matten Augen“ entfaltet, könnte das glauben machen. Aber auch diese Gewissheit steht auf den tönernen Füßen. Hier werden keine Antworten geboten und erst recht nicht göttliche Liebe und Seelenheil versprochen. Schäfer lässt einen mit vielen Fragen und Zweifeln zurück. Die auf historischen Instrumenten vollkommen aufwandarm, aber ungemein homogen und beseelt musizierenden Berliner Barock Solisten steuern zwischendurch das Ihrige dazu bei – mit jenen Verstand und Sinne schärfenden Streicherarrangements von einer Orgelfuge sowie dem sechsstimmigen Ricercar aus Bachs „Musikalischem Opfer“. Moderner und heutiger lässt sich Bach momentan vielleicht nicht denken.

Guido Fischer, 19.10.2013


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